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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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das sie dann so lang weiterspielten. Das Spiel, dessen roten Faden sie immer wieder aufnahmen. Vorerst an all den Tagen, die sie damals, in jenem ersten Jahr, in jenem ersten Sommer ihrer Beziehung, noch in San Vito verbrachten, den Zeitpunkt der Abreise so lang wie möglich hinausschiebend. Und dann in den folgenden Jahren. Und dann nach Jahren wieder.
    Allerdings erwarteten sie damals, an jenem ersten Vormittag, an dem sie sich auf dieses Spiel einließen, dass ihnen Mortimer die Geschichte, die ihre Fantasie so anregte, weitererzählen würde. Das hatte er ja vergangene Nacht noch versprochen.
To be continued
, hatte er zum Abschied gesagt, bevor er hinter der Tür seines Zimmers verschwunden war. Fortsetzung folgt, die Gelegenheit dazu würde sich schon noch ergeben.
    Davon gingen sie also aus. Auch wenn sie sich darüber einig waren, dass sie ihn nicht drängen sollten. Der gestrige Abend hatte ihn anscheinend doch ziemlich mitgenommen. Es sei ja bewundernswert, wie er die Rückfahrt geschafft, das Auto unten an der Stadtmauer (ohne einen der dort etwas ungünstig stehenden Bäume zu streifen) eingeparkt und sich dann beim Gehen über die nächtliche Piazza aufrecht gehalten habe, sagte Marco.
Però è un vecchio uomo
, aber schließlich sei er ein alter Mann.
    Als sie gegen Mittag aus dem Park ins Albergo zurückkehrten, stand er jedenfalls immer noch nicht am Fenster. Und auch nicht am Abend, als sie vom Fluss zurückkamen. Das Fenster war leer, wie ein Rahmen, in dem das gewohnte Bild fehlte. Da fingen sie an, sich Sorgen um ihn zu machen.
    Mehrere Male klopften sie an die Tür seines Zimmers. Aber von drinnen kam keinerlei Reaktion.
    Schließlich fragten sie den
padrone
, ob er den amerikanischen Gast heute gesehen habe. Allerdings, sagte der, und zwar schon sehr früh am Morgen.
    Che casino
, sagte Fantini,
porca madonna!
Haben Sie gar nichts gehört? Dann haben Sie einen beneidenswert guten Schlaf. Zwei Carabinieri seien da gewesen. Die haben den Signore Mortimer darauf aufmerksam gemacht, dass sein
Permesso di Soggiorno
abgelaufen sei.
    Seine Aufenthaltsbewilligung! Stimmt, davon hatte er gesprochen. Dass er sie irgendwann demnächst verlängern lassen müsste. Aber was ist denn das für eine Art?!, ereiferte sich Marco. Die Carabinieri haben ihn doch nicht deswegen in aller Früh aus dem Bett geholt?!
    Doch, sagte Fantini. Auch Mister Mortimer habe sich deshalb ereifert. Wo sind wir denn?!, habe er gesagt. Ob das Italien sei oder irgendein Ostblockland? Die Carabinieri hätten ja vielleicht noch mit sich reden lassen. Aber das war einfach nicht die richtige Art, mit ihnen zu reden.
    Und so viel sei wahr: Sie hatten ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass sein
permesso
ablaufe. Er sei ja schon mehr als drei Monate hier gewesen. Vielleicht hätte es ja genügt, nach Siena zu fahren, um es zu erneuern. Aber nun habe der Signore Mortimer auf stur geschaltet, na schön, habe er gesagt, wenn man ihn hier nicht mehr haben wolle, dann könne er diesem schönen Land ja den Rücken kehren.
    Er sei also abgereist?
    Er habe zusammengepackt und seine Rechnung bezahlt.
    Und die Carabinieri?
    Die haben auf ihn gewartet.
    Vielleicht haben sie ihn ein Stück begleitet, vielleicht haben sie ihn bis nach Rom eskortiert, wo er den Wagen zurückgeben und das nächste Flugzeug nach Amerika nehmen wollte. Aber darüber, so Fantini, wisse er nichts Genaueres und habe sich auch nicht eigens danach erkundigt.
    Er wirkte nach und nach ein wenig gereizt.
Certo
, der Signore Mortimer sei ein seit vielen Jahren wiederkehrender Gast gewesen. Aber er, in seiner Rolle als Hotelier, die er ohnehin ungern spiele, sei froh, dass die Carabinieri vorläufig nicht wiederkommen würden. Man könne nie wissen, was denen noch einfalle, und er wolle keine Scherereien haben.
    Auch auf die Fragen, die sie ihm in den nächsten Tagen stellten, reagierte er eher zurückhaltend. Nein, über den Signore Mortimer wisse er nicht viel. Der sei nach dem Krieg aufgetaucht, in den Fünfzigerjahren. Er sei öfter wiedergekommen, er habe immer dasselbe Zimmer gemietet, er habe wenig geredet.
    Wie? Er sollte oder wollte schon im Frühjahr 1944 hier gewesen sein? Davon habe er ihm gegenüber jedenfalls nie etwas erwähnt ... Mai oder Juni 44, sagen Sie? ... Er, Fantini, sei damals jedenfalls woanders gewesen.
    Er hatte sich im September 43, kurz nachdem sich Italien von der unglückseligen Waffenbrüderschaft mit Deutschland verabschiedet hatte, in die Büsche

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