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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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vorgerückt.
    Aber als Jagdbomber bist du halt manchmal ein Stück voraus.
    Wieso er hinter die feindlichen Linien geraten war, das bekamen Marco und Julia nicht recht mit. Das mag an der Sprache gelegen sein, diesem Kauderwelsch, nein, diesem alternierenden Einsatz von amerikanischem Englisch und manchmal sehr schräg klingendem Italienisch.
    Marcos Englisch, das italienische Schulenglisch, reichte nicht weit, Julias Italienisch war ja zu diesem Zeitpunkt erst in den Anfängen. So verstand einmal er und einmal sie etwas mehr oder sehr viel weniger.
    Es lag aber sicher auch an Mortimers Erzählweise. Er nahm manches vorweg und lieferte manches erst später nach. Dazu kamen Ausdrücke aus der Militärsprache, rasch aufeinander folgende Bezeichnungen von Flugzeugtypen und Bordwaffen, mit denen sie wenig anfangen konnten. Doch so viel bekamen sie mit, dass dieser freundliche Mann damals in einem Jagdbomber gesessen sein musste, bestückt mit zwei Bomben und einem Bord-MG.
    Du fliegst tief, sagte Mortimer, und schießt gegebenenfalls auf Bodenziele.
If necessary.
Das wollte sich Julia lieber nicht konkret vorstellen. Und schon gar nicht, dass Mortimer bei diesem Einsatz wirklich Bomben abgeworfen hatte. Vielleicht hatte es sich ja um eine Art Aufklärungsflug gehandelt.
    Womöglich war der Frontverlauf nicht ganz klar. Es gab das Gerücht, die
Krauts
hätten sich schon am Vortag etwas weiter nach Norden zurückgezogen. Aber nein! Diesen Gefallen hatten sie uns nicht getan. Die waren hartnäckig. Jedenfalls waren noch welche da, um die Flak zu bedienen.
    Getroffen!
Jesus Christ!
Jetzt war es so weit! Einmal würde es so weit sein: Genau das hatte er die ganze Zeit über befürchtet. Mortimer. Damals vierundzwanzig. Ein junger Mann, der noch ein langes Leben vor sich hatte. Oder auch nicht. Deine ganze Zukunft kann schon im nächsten Augenblick wegbrechen und davonfliegen.
    Klar lernst und trainierst du das während der Ausbildung, wie du dich in so einem Fall verhältst. Aber der Schock, sagte Mortimer, macht den Unterschied. Diesen Schock darfst du keine Sekunde zu lang auf dich wirken lassen. Sonst ist es zu spät und du zerschellst mit der Maschine irgendwo in der Gegend.
    Also springen, also die Reißleine ziehen. Also hoffen, dass der Fallschirm sich rechtzeitig öffnet und den Sturz noch ein wenig abfängt. Doch das da unten sieht ja beinahe aus, als wärst du über einem Übungsgelände abgesprungen. Eine eigenartige Geometrie. Sieht fast aus wie eine Zielscheibe.
    Ja, und tatsächlich: Dort sei er aufgekommen. Eine etwas harte Landung, aber soweit er das im ersten Moment beurteilen konnte, sei er danach noch ganz gewesen. Und habe den Fallschirm zusammengerollt, das heißt eher zusammen
gerafft
. Und habe Deckung gesucht. Und da war dann eben das Haus in der Mauer.
    Mit dem Gewölbe, in das er geflohen sei. Miss Mollys nach unten verlängerter Rock sozusagen. Miss Molly: Mortimers Schutzmantelmadonna.
She gave me shelter
, sagte er.
Most probably she saved my life.
    Miss Molly, die nicht im Luftschutzkeller war. Die nicht an der Parkmauer entlanggelaufen war und über die Piazza bis zur Casa del Popolo, wo halb San Vito im Keller saß und eine kollektive Angst ausdünstete. Miss Molly, die sich die Platzangst erspart hatte und die Raumangst. Miss Molly, die Fatalistin: Geschieht es nicht jetzt, so geschieht es morgen, geschieht es nicht morgen, so geschieht es später.
    Sie hatte standgehalten. Sie war am Fenster stehen geblieben. Sie hatte alles mit offenen Augen gesehen. Das heißt: Bei der Detonation des Donnervogels, dort irgendwo drüben in den
crete
, den Canyons aus Lehm, die es ein Stück weiter im Norden gab, hatte sie die Augen kurz geschlossen. Aber das war unwillkürlich, das war ein Reflex.
    Doch dann hatte sie die Augen wieder geöffnet. Und hatte den kurzen, skurrilen Kampf des Soldaten mit seinem Fallschirm beobachtet. Und hatte gesehen, wie er auf ihr Haus zulief, das heißt eher zusprang, in einigen wenigen raschen Sätzen. Dann allerdings, direkt unter ihr, bloß zwei Stockwerke tiefer, war er aus ihrem Blickfeld verschwunden.
    Wahrscheinlich ein fragwürdiges Gefühl. Da unten, in ihrem Gewölbe, musste er irgendwo sein. Er. Aber wer? Wer war der Mann, der ihr da zulief wie ein gehetzter Hund oder wie ein möglicherweise verletzter Kater. Einen Moment lang wird sie vielleicht noch gezögert haben. Doch dann stieg sie Stufe für Stufe die Treppe hinunter.
    Mit einer Petroleumlampe in der Hand,

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