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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Mayhew
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Luftballon aufsteigen, und Josie brachte ihn mit einem Messerwurf zum Platzen. Sie lächelte die ganze Zeit über, aber im Stillen fragtesie sich, wo Cardamom all diese Dinge versteckte. Hinter der Bühne hatte sie schon oft heimlich in seine Taschen geschaut, doch nie etwas darin gefunden. Ihr Vormund verriet ihr nicht, wie er es anstellte. »Das ist Zauberei«, sagte er jedes Mal mit geheimnisvoller Miene. Josie wusste, dass es nichts weiter war als ein Trick, aber das erklärte noch nicht, woher er wusste, was die Zuschauer ihm zurufen würden.
    Auf das Hervorzaubern folgte eine Schwebenummer, dann wurde ein Krug aus einer Flasche befüllt, die sich niemals leerte, dann tauchten Kaninchen in einem Hut auf – all die üblichen Dinge, die das Publikum des Erato liebte. Cardamom und Josie besuchten oft das nahe gelegene Lyceum, um zuzuschauen, wie Professor Anderson, der »Zaubermeister des Nordens«, ähnliche Tricks vollführte. Doch bei Cardamom gingen die einzelnen Nummern nahtlos ineinander über. Während er seine Zauberkunststücke vorbereitete, schlug Josie Purzelbäume, Räder oder Flick-Flacks, und sie liebte es, wie die Zuschauer nach Luft schnappten, wenn sie auf der Bühne Anlauf nahm, sprang und mit einem Salto neben Cardamom landete. Sie selbst genoss ihre Darbietung beinahe ebenso wie das Publikum.
    An diesem Abend schallten der Applaus und die Jubelrufe bis hinter die Kulissen, als Josie und Cardamom sich an den Tänzerinnen vorbeischoben, die als Nächste an der Reihe waren.
    »Warum denn Artemis?«, fragte Josie. »Das ist so ein langweiliger Name.«
    Cardamom blieb abrupt stehen, drehte sich um und bohrte Josie förmlich seine Nase ins Gesicht. »Dein Talent kommt von den antiken Göttern«, zischte er, auf einmal ganz ernst. Die muntere Röte war aus seinen Wangen gewichen. Dannwarf er ihr einen vielsagenden Blick zu. »Und die wollen wir doch nicht gegen uns aufbringen, oder?«
    Josie sah ihrem Vormund nach, der an den Bühnenhelfern und den wartenden Künstlern vorbeistapfte und in den dunklen Eingeweiden des Theaters verschwand. Sie runzelte die Stirn. Er und seine Launen! Cardamom konnte im Handumdrehen von ernst zu fröhlich wechseln. Auf der Bühne wirkte er dämonisch mit seinem roten Spitzbart und den hochgewölbten Augenbrauen, doch manchmal konnte er auch sanft und liebevoll sein. Sie eilte hinter ihm her.
    Josie fand ihn in einem Lagerraum, wo sie sich unterhalten konnten, ohne dass ihre Stimmen die Vorführung auf der Bühne störten. Dorthin zogen sie sich immer zurück, wenn es etwas zu bereden gab.
    »Wenn es dich glücklich macht, Onkel«, seufzte Josie, »dann heiße ich von jetzt an eben Artemis.«
    Cardamom lächelte schwach und zuckte die Achseln. »Das Publikum wird dich lieben, ganz gleich, welchen Bühnennamen wir dir geben. Wenn du älter bist, wird das Schauspielen … einfacher.« Auf einmal wirkte er viel älter. Mit einem Stich der Trauer bemerkte Josie, dass das gefärbte Haar sein wahres Alter eher noch betonte als verbarg.
    Ein kleiner, aber kräftiger junger Mann in dunkler Hose und Weste kam aus dem Gang herein. Er hatte eine Stummelpfeife im Mund, deren Rauch sich um sein dichtes schwarzes Haar und den üppigen Schnurrbart ringelte. In der Hand hielt er einen Pinsel, und seine hochgekrempelten Hemdsärmel waren voller Farbkleckse.
    »Gimlet!« Josie stürzte sich auf ihn und umarmte ihn, froh über die Ablenkung. »Was machst du denn hier? Hast du die Kulisse für die Unterwelt fertig?«
    Sie hatte zugesehen, wie Gimlet die Szenerie für Cardamoms neue Nummer vorbereitete. Ihr Vormund hatte sich Dantes
Inferno
als Thema ausgesucht. Kobolde und Dämonen würden über die Bühne tanzen, während Cardamom Kunststücke vollbrachte, die sogar den Teufel höchstpersönlich zum Staunen bringen würden. Gimlet hatte den Hintergrund entsprechend gestaltet: lodernde Höllenfeuer und düstere Höhlen, aus denen furchteinflößende satanische Fratzen hervorstarrten.
    »Langsam, langsam«, sagte Gimlet lachend und hielt den nassen Pinsel zur Seite, damit Josies Haar keine Farbe abbekam. »Es gibt noch einiges zu tun. Wahrscheinlich werde ich die nächsten paar Wochen in diesem Theater leben!«
    »Das tust du doch jetzt schon, Gimlet«, zog Cardamom ihn auf.
    »Macht auf jeden Fall mehr Spaß, als Särge zu zimmern«, erwiderte Gimlet.
    Josie überlief ein Schauer. Bühnenkulissen und Särge. Gimlet hatte ihr erzählt, dass er Beerdigungsunternehmen belieferte, wenn im

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