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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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reiben konnte. Das Haus musste ziemlich groß sein; man
brauchte wahrscheinlich wer weiß wie lange, um von ganz oben nach unten zu
kommen. Nach einer Weile drehte er sich um, betrachtete das Regenwasser, das
über die Dachtraufe schoss, und dachte, wie merkwürdig es war, dass man mehr
fror, wenn man durchnässt im Trockenen stand, als wenn man durch strömenden
Regen ging.
    Ihm fiel
auf, dass sich in unmittelbarer Nähe des Schlosses besonders viel Wasser
sammelte. Irgendwann, als sie in London im Bett gelegen hatten und er alles
über das Schloss wissen wollte, hatte Juniper ihm von dem ehemaligen
Schlossgraben erzählt, den ihr Vater nach dem Tod seiner ersten Frau hatte
zuschütten lassen.
    »Seine
Trauer wird ihn dazu gebracht haben«, hatte Tom gesagt, der sich, wenn er
Juniper anschaute, gut vorstellen konnte, wozu ein solcher Verlust einen
Menschen treiben konnte.
    »Nicht
Trauer«, hatte sie erwidert, während sie sich die Haarspitzen um die Finger
wickelte. »Eher Schuldgefühle.«
    Als er
wissen wollte, was sie damit meinte, hatte sie ihn nur angelächelt, sich auf
die Bettkante gesetzt und ihm ihren nackten Rücken zugewandt, sodass er nicht
anders konnte, als ihre glatte Haut zu streicheln und seine Fragen zu
vergessen. Erst jetzt fiel ihm die Situation wieder ein. Schuldgefühle. Er
fragte sich, was sie damit gemeint haben könnte, und nahm sich vor, sie danach
zu fragen, sobald er die Schwestern kennengelernt hatte, sobald Juniper und er
ihre Neuigkeit verkündet hatten, sobald sie zusammen waren, allein, unter vier
Augen.
    Ein helles
Dreieck erregte Toms Aufmerksamkeit, eine Spiegelung auf den Pfützen. Es war
das Licht aus dem Fenster mit dem defekten Fensterladen. Vielleicht ließ er
sich ja ganz einfach reparieren, vielleicht hatte er sich nur aus der Angel
gelöst. Eigentlich könnte er sich jetzt gleich darum kümmern.
    Das
Fenster lag nicht sehr hoch. Das wäre ruckzuck erledigt. Dann müsste er nicht
wieder in den Regen raus, nachdem er einmal im Warmen und Trockenen war, und
nicht zuletzt konnte er damit bestimmt die Herzen der Schwestern erobern.
    Mit einem
Lächeln auf den Lippen stellte Tom seinen Seesack ab und eilte hinaus in den
Regen.
     
    Seit sie
sich mit dem Rücken zum prasselnden Kaminfeuer gesetzt hat, ist Saffy durch ein
Labyrinth von Träumen geeilt. Soeben hat sie das Zentrum erreicht. Den Ort der
Stille, wo alle Träume ihren Ursprung haben und zu dem sie wieder zurückkehren.
Der Ort, der ihr schon lange vertraut ist.
    Sie hat es
schon unzählige Male geträumt, schon seit ihrer Kindheit. Der Traum verändert
sich nie. Wie ein Film, der immer wieder abgespielt wird. Und unabhängig
davon, dass sie ihn kennt, ist der Traum immer wieder neu, der Schrecken immer
wieder frisch.
    Er beginnt
damit, dass sie aufwacht und glaubt, in der realen Welt aufgewacht zu sein, bis
sie feststellt, dass es um sie herum eigenartig still ist. Es ist kalt, und sie
ist allein; sie schlüpft aus dem Bett und stellt die Füße auf den Holzboden.
Ihre Kinderfrau schläft in dem kleinen Zimmer nebenan, aber ihr tiefer und
regelmäßiger Atem, der normalerweise ein Gefühl von Sicherheit vermitteln
würde, signalisiert in dieser Welt nur unüberbrückbare Distanz.
    Saffy geht
langsam ans Fenster. Etwas zieht sie unwiderstehlich dorthin.
    Sie
klettert auf das halbhohe Bücherregal, rafft ihr Nachthemd um die Beine, weil
es plötzlich eiskalt wird. Sie wischt die beschlagene Scheibe ab und späht
hinaus in die Nacht.
     
    Percy
hatte den Hammer gefunden. Nach langem Suchen und wildem Fluchen umschloss ihre
Hand irgendwann den vertrauten, durch jahrelangen Gebrauch glatten Stiel. Na
endlich, schnaubte sie, zog ihn unter den Schraubenschlüsseln und
Schraubenziehern hervor und legte ihn neben sich auf den Boden. Öffnete das
Marmeladenglas mit den Nägeln und schüttete sich einige in die Hand. Einen
hielt sie gegen das Licht, begutachtete ihn und kam zu dem Schluss, dass fünf
Zentimeter reichen mussten, zumindest für die notdürftige Reparatur heute
Nacht. Sie stopfte die Nägel in die Tasche ihrer Regenjacke, nahm den Hammer
und ging durch die Küche zur Tür.
     
    Sein
Vorhaben hatte sich doch nicht so gut angelassen wie erhofft. Er hatte einen
steinernen Vorsprung unter dem Fenster falsch eingeschätzt, war abgerutscht und
in den verschlammten Graben
gefallen. Es war ärgerlich und so nicht geplant, aber nach ein paar kräftigen
soldatischen Flüchen - denn schließlich war er Soldat — hatte er

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