Moskauer Diva
davonlaufen können. Dshingis Khan würde von ihrer Passion erfahren, und was dann geschah, war leicht zu erraten … Nein, nein, tausendmal nein!
Nach langem Schwanken verfiel Elisa auf Folgendes: Sie durfte keinerlei Liebeserklärungen zulassen. Aber sie konnte im Laufe eines neutralen Gesprächs versuchen herauszufinden – an einem Blick, am Klang der Stimme, an einer unwillkürlichen Bewegung –, ob er sie noch immer liebte. Sie war schließlich Schauspielerin, sie besaß eine besondere Sensibilität für solche Dinge. Wenn sie keinerlei magische Anziehungskraft verspürte, dann brauchte sie nicht weiter zu leiden. Aber wenn doch … Was sie in diesem Fall tun sollte, wusste Elisa nicht.
Am Tag nach der Begegnung im Foyer, am Mittwoch, war er bereits da, als sie zur Probe kam. Er saß am Regietisch und las die Aufzeichnungen in den »Annalen« – mit so unnatürlich konzentrierter Miene, dass Elisa ahnte: Das war Absicht, damit er sie nicht ansehen musste. Sie lächelte innerlich. Das war ein vielversprechendes Symptom.
Ein Gesprächsthema hatte sie vorbereitet.
»Guten Tag, Erast Petrowitsch.« Er stand auf und verbeugte sich. »Ich habe eine Bitte an Sie als Autor. Ich lese jetzt viel über Japan, über die Doppelselbstmorde Verliebter – um meine Heldin Ijumi besser zu verstehen …«
Er hörte ihr schweigend und aufmerksam zu. Wie es mit der magischen Anziehungskraft aussah, war vorerst unklar.
»Und ich bin auf etwas sehr Interssantes gestoßen. Nämlich, dass die Japaner, bevor sie aus dem Leben scheiden, üblicherweise ein Gedicht schreiben. Nur fünf Zeilen! Das finde ich sehr schön! Was, wenn auch meine Geisha ein Gedicht schreibt, das in wenigen Zeilen ihr Leben resümiert?«
»Merkwürdig, dass ich nicht selbst daran gedacht habe«, sagte Erast langsam. »Sehr wahrscheinlich, dass eine G-geisha genau das getan hätte.«
»Dann schreiben Sie ein Gedicht! Ich werde es vortragen, bevor ich auf den elektrischen Knopf drücke.«
Er überlegte.
»Aber das Stück ist ohnehin in Versen geschrieben. Das Gedicht würde wie ein ganz normaler Monolog klingen.«
»Ich weiß, was Sie tun müssen. Sie halten sich an die japanische Form: Fünf Silben in der ersten Zeile, sieben in der zweiten, fünf in der dritten und je sieben in den beiden letzten Zeilen. Für russische Ohren wird das wie Prosa klingen und sich von dem dreihebigen Jambus der Monologe unterscheiden. Die Verse werden die Funktion von Prosa übernehmen, und die Prosa die von Versen.«
»Eine vorzügliche Idee.«
In seinen Augen blitzte Begeisterung auf, aber Elisa wusste nicht genau, worauf sie sich bezog – auf sie selbst oder auf ihre Idee. Sie hatte noch immer nicht herausgefunden, ob sie auf Fandorin eine magische Anziehungskraft ausübte oder nicht. Wahrscheinlich war ihr die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, im Wege.
Sie wollte ihre Nachforschung am nächsten Tag fortsetzen, doch weder am Donnerstag noch am Freitag erschien Erast im Theater, und dann kam der schicksalhafte Tag – der Sonnabend.
Was sie Schustrow antworten sollte, wusste Elisa nicht. Mag es kommen, wie es will, dachte sie am Morgen in ihrem Hotelzimmer, als sie vor dem Spiegel stand und ihre Garderobe auswählte. Das heißt, sie musste unbedingt einwilligen. Andererseits hing vielesauch von Schustrow ab: Welche Worte er wählen, wie er sie anschauen würde.
Das helllila Kleid, dazu den schwarzen Seidengürtel? Nein, zu sehr Trauertracht. Besser den dunkelgrünen Moirégürtel. Eine etwas gewagte Kombination, aber passend für beide möglichen Entscheidungen. Und der Hut – natürlich der Wiener mit dem kurzen Schleier.
Da sie schon einmal dabei war, versuchte sie sich vorzustellen, was sie zur Hochzeit tragen würde. Natürlich keinerlei Korsett, Spitzen und Rüschen. Ganz zu schweigen von einem Schleier – bei der dritten Heirat, und überhaupt war derlei Hochzeitsschmuck nichts für Elisa Lointaine. Das Kleid würde oben eng sein, unten weit. Unbedingt rot, und mit einem schwarzen Zickzackmuster, wie von Flammen umzüngelt. Sie musste einen Entwurf machen und es bei Boucher in Auftrag geben, der war ein Zauberer, er würde genau das Richtige schneidern.
Elisa stellte sich das Bild vor: Sie wie eine feurige, in die Höhe strebende Blume; er – schlank und imposant, in Schwarzweiß. Alle schauen sie an, auf dem Tisch Blumen und Kristall, der Bräutigam küsst sie auf den Mund, und sie hebt die Hand im langen strohgelben Handschuh …
Brrr!
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