Moskauer Diva
ihr: »Mädchen, die Bühne wird dich reich beschenken – und dich bis aufs Hemd ausziehen. Sei dir bewusst, dass du weder eine richtige Familie haben wirst noch eine wirklicheLiebe.« Sie hatte unbekümmert geantwortet: »Sei es drum!« Später hatte sie ihre Entscheidung manchmal bereut, aber für eine Schauspielerin gab es kein Zurück. Und wenn doch, war sie keine Schauspielerin, dann war sie nur eine Frau.
Stern, für den auf der Welt nichts existierte außer dem Theater, wiederholte gern, jeder echte Schauspieler sei ein emotionaler Hungerleider, und erklärte das, wie vieles andere, mit Hilfe einer monetären Metapher (Noah Nojewitschs Merkantilität war zugleich seine Stärke und seine Schwäche). »Angenommen, ein normaler Mensch hat Gefühle für einen Rubel«, sagte er. »Fünfzig Kopeken verausgabt er für die Familie, fünfundzwanzig für die Arbeit, den Rest für Freunde und Hobbys. Alle hundert Kopeken seiner Emotionen gehen für das alltägliche Leben drauf. Anders der Schauspieler! In jede Rolle investiert er mal fünf, mal zehn Kopeken – ohne diesen lebendigen Obulus kann er nicht überzeugend spielen. Im Laufe seiner Karriere spielt ein herausragendes Talent vielleicht zehn, maximal zwanzig erstklassige Rollen. Was bleibt da übrig für das Alltägliche – für Familie, Freunde, Geliebte? Drei Kopeken und ein bisschen.«
Noah Nojewitsch mochte es gar nicht, wenn man mit ihm stritt, darum hörte sich Elisa seine »Kopekentheorie« schweigend an. Sonst hätte sie ihm widersprochen: »Das stimmt nicht! Schauspieler sind besondere Menschen, und auch ihre emotionale Struktur ist eine besondere. Ohne diesen Kraftquell hast du auf der Bühne nichts verloren. Ja, zu Anfang hatte ich vielleicht nur für einen Rubel Gefühle. Aber wenn ich spiele, gebe ich meinen Rubel nicht aus, ich bringe ihn in Umlauf, und jede erfolgreiche Rolle bringt mir Dividende. Normale Menschen verbrauchen vielleicht von ihrer Geburt bis zum Tod ihre Emotionen für hundert Kopeken, ich aber lebe von den Prozenten, und mein Kapital bleibt unberührt! Die fremden Leben, zu deren Teil ich auf der Bühne werde, gehen nicht von meinem Leben ab, nein, sie werden hinzuaddiert!«
Wenn eine Vorstellung gut war, spürte Elisa die in ihr brodelnde emotionale Energie geradezu physisch. Sie war so groß, dass sie den ganzen Saal erfüllte, tausend Menschen! Doch auch die Zuschauer ihrerseits steckten Elisa mit ihrem Feuer an. Diesen magischen Effekt kennt jeder echte Schauspieler. Der verstorbene Smaragdow, ein Freund abgeschmackter Vergleiche, sagte oft, ein Schauspieler sei, unabhängig von seinem Geschlecht, immer ein Mann. Von ihm hinge es ab, ob er es schaffe, das Publikum zur Ekstase zu bringen oder ob er nur schwitzte und seine Kräfte verausgabte, während die Geliebte unbefriedigt davonging und sich in andere Arme stürzte.
Darum dachte Elisa so ungern an den Kinematograph, von dem Schustrow träumte. Was nutzte es, wenn die Zuschauer in hundert oder tausend Elektrotheatern schluchzten oder mitfieberten, wenn sie ihr Gesicht auf einem Stück Stoff sahen? Sie selbst würde doch diese Liebe nicht spüren.
Sollte Schustrow ruhig denken, sie nehme seinen Antrag aus Eitelkeit an, aus Gier nach Weltruhm. Sie wollte nur eines: dass er sie von Dshingis Khan befreite. Dafür war sie bereit, seine ewige Schuldnerin zu werden. Ihre Ehe, wenn auch ohne Liebe geschlossen, konnte durchaus harmonisch werden. Schustrow schätzte die Schauspielerin in ihr mehr als die Frau? Nun, sie war ja auch in erster Linie Schauspielerin.
Doch die andere Hälfte ihres Wesens, die der Frau, schlug verzweifelt mit den Flügeln, wie ein ins Netz geratener Vogel. Wie viel leichter wäre eine Heirat aus Berechnung, gäbe es Fandorin nicht! In vier Tagen musste sie sich freiwillig in einen Käfig sperren. Er war aus purem Gold und würde sie zuverlässig vor dem herumstreunenden Raubtier schützen. Doch das hieß, für immer auf den Flug der zwei Kometen am sternenlosen Himmel zu verzichten!
Wenn sie nur sicher, ohne jeden Zweifel, wüsste, dass Erast ihrgegenüber abgekühlt war. Aber wie sollte sie das herausfinden? Ihrem Bühnenpartner Masa glaubte sie nicht mehr. Er war ein guter Mensch, aber für ihn war das Herz seines »Herrn« genauso ein Rätsel wie für sie.
Erast zu einem offenen Gespräch auffordern? Aber das wäre, als würde sie sich ihm an den Hals werfen. Und sie wusste, wie derartige Szenen endeten. Ein zweites Mal würde sie nicht
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