Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
deinen dreißig aus wie vierzig! Er dagegen … Er …«
    Und da sie einmal angefangen hatte, von Erast Petrowitsch zu sprechen, konnte sie nicht mehr aufhören. Wassja nahm ihr das »vertrocknet« nicht übel, er war überhaupt selten beleidigt, und Elisa verzieh er sowieso alles. Er hörte ihr zu, seufzte, fühlte mit ihr.
    Er fragte: »Du liebst also unseren Autor. Und wer hat dir den Antrag gemacht?«
    Sie antwortete, und er stieß einen Pfiff aus.
    »Ach nein! Tatsächlich? Das ist ja …!«
    Sie drehten sich zur Tür um, die sich einen Spalt geöffnet hatte. Im Theater zog es ständig.
    »Ich habe noch nicht eingewilligt! Ich habe noch vier Tage Bedenkzeit, bis Sonnabend.«
    »Ja, du musst sehen … Es ist deine Entscheidung. Aber du weißt doch, viele Frauen, besonders Schauspielerinnen, arrangieren sichirgendwie. Der Ehemann ist das eine, die Liebe – etwas anderes. Das ist ganz normal. Hörst du, quäl dich nicht zu sehr. Schustrow ist Millionär, er wird es weit bringen. Dann hast du das Sagen in unserem Theater. Mehr als Stern!«
    Ja, Wassja war ein wahrer Freund. Er wünschte ihr nur Gutes. Elisa (warum es leugnen) hatte in den vergangenen Tagen auch diese Möglichkeit erwogen: Schustrow ihre Hand zu geben, ihr Herz aber nach wie vor Erast Petrowitsch zu lassen. Doch irgendetwas sagte ihr: Auf eine derartige Menage würde sich keiner der beiden einlassen. Dazu waren sie zu ernsthaft, alle beide.
    »He, wer lauscht da draußen?«, rief Wassja ärgerlich. »Das ist kein Durchzug, ich habe eben einen Schatten gesehen!«
    Die Tür schwang, Schritte entfernten sich rasch, jemand eilte auf Zehenspitzen davon.
    Ehe Prostakow sich durch den engen Gang zwischen den Sesseln gezwängt hatte, war der Neugierige schon verschwunden.
    »Wer kann das gewesen sein?«, fragte Elisa.
    »Jeder. Das ist keine Truppe, das ist ein Glas voller Skorpione! Wie der Herr, so’s Gescherr! Sterns Theorie der Spannung und des Skandals in Aktion! Gratuliere, nun werden alle erfahren, dass du in vier Tagen einen bedeutenden Mann heiratest!«
    Der wunderbare Wassja war wirklich betrübt. Elisa dagegen nicht sehr. Mochten sie es erfahren – umso besser. Unschön wäre es gewesen, hätte sie selbst damit geprahlt, so aber würde es ohne ihr Zutun durchsickern. Sollten die anderen doch vor Neid platzen. Sie aber würde noch sehen, ob sie diesen »bedeutenden Mann« heiratete oder nicht.
     
    Doch ob der unbekannte Spion sich bei den anderen verplappert hatte, blieb ungewiss. Niemand sprach Elisa direkt auf Schustrow an. Und schiefe, neidische Blicke in ihre Richtung hatte es stets gegeben. Die Situation einer Diva glich einem rosa Strauch mit spitzenDornen, und in Sachen Eifersucht übertraf eine Theatertruppe noch den Harem eines Schahs.
    Dennoch war der Strauch eben rosa. Duftend und wunderschön. Jeder Auftritt, selbst auf der Probe, brachte süßes Vergessen, bei dem sie sich aus der Finsternis und der Angst des realen Lebens ausklinkte. Und eine Vorstellung war erst recht ungetrübtes Glück. Die zwei Vorstellungen nach der Premiere waren glänzend gelaufen. Alle hatten mit großer Freude gespielt. Das Stück gab jedem Schauspieler Gelegenheit, den Saal eine gewisse Zeit ganz für sich allein zu haben. Und seit die Kartenspekulanten plötzlich verschwunden waren, hatte sich das Publikum verändert. Im Parkett gab es nun weniger funkelnden Schmuck und gestärkte Kragen, dafür viele frische, lebendige, überwiegend junge Gesichter, die Emotionalität war größer. Der Saal reagierte freudiger und dankbarer, und das elektrisierte wiederum die Schauspieler. Vor allem aber – die Gesichter spiegelten keine Gier nach Sensationen oder Skandalen, diesen ewigen Begleitern von Sterns Theater. Die Menschen, die den Spekulanten für einen Platz in den vorderen Reihen fünfzig oder hundert Rubel gezahlt hatten, hatten für ihr Geld mehr sehen wollen als nur eine Theatervorführung.
    Der Reiz von Elisas Rolle bestand darin, dass sie so schwer zu verstehen war. Die Vorstellung von der Geisha als einer Verkörperung der Schönheit, die aber zugleich körperlos war, erregte ihre Phantasie. Was für ein berauschendes Gewerbe – als Objekt der Begierde zu dienen, dabei aber unberührbar zu bleiben! Wie sehr ähnelte das dem Leben einer Schauspielerin, ihrem herrlichen und traurigen Los!
    Als Elisa von der Ballett- in die Schauspielabteilung der Schule gewechselt hatte, sagte ein weiser alter Lehrer (der »edle Vater« der kaiserlichen Theater) zu

Weitere Kostenlose Bücher