Moskauer Diva
Mädchen! Kopf hoch! Das wird dich in ganz Europa berühmt machen!«
Elisa fand ihn noch abstoßender als Mefistow.
»Sie kriegen keine Vorstellung mehr, Sie reiben sich umsonst die Hände«, sagte sie in Gedanken zu Stern. Als sie wieder zu sich gekommen war, wusste sie, was sie tun musste. Ganz von selbst. »Aber machen Sie sich keine Sorgen, Noah Nojewitsch. Das holen Sie schon wieder auf. Ein Abend zum Gedenken an die große Schauspielerin, gewaltige Einnahmen, Leitartikel über das Theater – das alles ist Ihnen sicher. Aber ohne mich.«
Es war sinnlos, ihnen allen zu erklären, dass es Mord war. Sie würden es nicht glauben. Ihnen gefiel das Märchen von der
Belle Dame sans merci
2
,
die ihre Verehrer mit ihrer Grausamkeit in den Tod trieb. Nun, in Gottes Namen. Wenn die Leute Elisa Lointaine so im Gedächtnis behalten wollten, dann sei es drum.
Sie verspürte endlose, tödliche Müdigkeit. Sie hatte nicht mehr die Kraft, mit den Flügeln zu schlagen. Es war an der Zeit, dem allem ein Ende zu bereiten: dem Schrecken, dem Bösen, dem endlosen Reigen des Todes. Niemand sollte mehr wegen Elisa sterben, kein einziger Mensch. Es reichte ihr. Sie würde gehen.
Elisa traf keine Entscheidung. Sie ergab sich von selbst, als das einzig Mögliche, Natürliche.
Noah Nojewitsch war ganz aufgeregt. Um für den Ansturm der Journalisten und Schaulustigen gerüstet zu sein, traf er Maßnahmen: Er ließ Elisa ins »Metropol« umziehen, wo es eine Etage für prominente Gäste gab – mit eigenem Empfangschef, der keine Fremden hereinließ. Natürlich ging es Stern nicht darum, Elisa von den Presseleuten abzuschirmen, nein, er wollte demonstrieren, wie luxuriös die führende Schauspielerin seines Theaters untergebracht war.
Elisa widersetzte sich nicht. Die Klubnikina und Prostakow begleiteten sie in ihr neues Quartier, eine schicke Dreizimmer-Suite mit Flügel und Grammophon, Baldachin überm Bett und üppigen Blumensträußen in Kristallvasen.
Sie saß in einem Sessel, noch mit Cape und Hut, und sah trübsinnig zu, wie Serafima ihre Kleider in den Ankleideraum hängte. Sich umbringen – auch das erfordert Energie. Und die hatte sie nicht mehr. Überhaupt nicht.
Morgen, sagte sie sich. Oder übermorgen. Aber ich werde nicht weiterleben, das steht zweifellos fest.
»Ich habe alles ausgepackt«, sagte Serafima. »Soll ich noch bei Ihnen bleiben?«
»Nein, gehen Sie. Danke. Es ist alles in Ordnung.«
Die beiden gingen.
Elisa bemerkte erst jetzt, dass es inzwischen dunkel war. Draußen auf dem Theaterplatz brannten die Straßenlaternen. Im Zimmer gab es viel Glänzendes – Bronze, Vergoldetes, Lack –, und das alles schimmerte und blitzte.
Elisa fuhr sich mit der Hand über das dick gepuderte Gesicht. Sie musste sich waschen.
Sie schleppte sich ins Bad. Jeder Schritt kostete Kraft.
Sie schaltete das Licht ein. Schaute in den Spiegel, in das weiße Gesicht mit den blauen Augenringen – das Gesicht einer Selbstmörderin.
Auf dem Toilettentisch lag zwischen Flakons und Schachteln etwas Weißes. Ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Wo kam das her?
Sie griff mechanisch danach und entfaltete es.
»
Ich habe dich gewarnt du gehörst für immer mir. Jeder mit dem du dich einlässt wird sterben
«, las Elisa, erkannte die Schrift und schrie auf.
Nicht morgen, nicht übermorgen! Sie musste diese Pein sofort beenden! Selbst in der Hölle konnte es nicht schlimmer sein!
Sie zerbrach sich den Kopf, woher Dshingis Khan von ihrem Umzug wusste und wie er es geschafft hatte, den Brief in ihr Bad zu schmuggeln.
Ein Satan, ein richtiger Satan. Aber ihre Apathie und Trägheit waren wie weggeblasen. Elisa zitterte vor Ungeduld.
Schluss, Schluss! Fort aus dieser Welt! Schnell!
Sie schaltete überall Licht ein und lief durch die Zimmer, auf der Suche nach einem geeigneten Mittel.
Der Tod war überall bereit, sie in die Arme zu schließen. Das Fenster war eine offene Tür ins Nichts – sie musste nur die Schwelle überschreiten. Am Kronleuchter funkelten zahlreiche Kristallprismen, zwischen denen sich auch Platz für einen hängendenKörper fände. In der Schatulle mit den Medikamenten lag ein Fläschchen Laudanum. Aber eine Schauspielerin konnte nicht aus dem Leben gehen wie eine gewöhnliche Frau. Selbst im Tod musste sie schön sein. Der letzte Auftritt, wenn der Vorhang fiel, musste so inszeniert und gespielt sein, dass er in Erinnerung blieb.
Die Vorbereitung der Bühne beschäftigte Elisa und lenkte sie ab, das
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