Moskauer Diva
Apfelbaumzweig. Ich werde es genießen, Ijumi anzusehn. Aus dem Duft ihrer Haare, betörend süß und schön, wird mich Verwesung anwehn, fauler Todesgeruch.
FUTOYA Da du den Tod erwähnt hast, da ist noch ein Problem. Ich habe eine Sorge, die mich nicht schlafen lässt. Bei Abschluss des Vertrages bekam ich vom Jonin ein streng geheimes Zeichen, das ich bewahren soll. Und wenn ich es verliere, ist das mein sichrer Tod. Hier, dieser Jaspis-Drachen, er brennt mir auf der Haut …
(Er holt die Figur hervor.)
Ich sag dir, was ich fürchte: Ihre verfluchte List. Die Ninja sind voll Tücke, es könnte durchaus sein, dass sie den Drachen stehlen.
O-BARA Wozu? Versteh ich nicht.
FUTOYA Ich habe für den Drachen mit meinem Schwur gebürgt. Und wenn sie zu mir kommen: »Wo ist der Talisman? Du schuldest uns dein Leben oder dein Hab und Gut.« Was soll ich denn dann machen? Alles nehmen sie mir. Das ist bei den Shinobi ein altbekannter Trick. Doch du bist für sie niemand, sie wissen nichts von uns. Nimm du lieber den Drachen, verwahre ihn für mich.
Futoya gibt der Geisha den Jaspis-Drachen, O-Bara nimmt das Zeichen des besiegelten Vertrags an sich. Sie verharren in dieser Pose.
Das Licht erlischt. Die Bühne wird gedreht.
Zweites Bild
Der Garten vor Ijumis Pavillon. Es ist Tag. Die Lampen auf der Engawa brennen nicht. An der Rampe steht der Unhörbare in einer seltsamen Pose: Er hat die Hände vorgestreckt, darin hält er mehrere hölzerne Messer. Am Rand der Engawa steht ebenso reglos Soga. Neben ihm sitzt Sen-Chan.
ERZÄHLER
Es scheint, dass im Yanagi alles ruhig und still.
Doch naht der große Tag schon, der die Entscheidung bringt.
Aufgeregt ist die Herrin, mit ihr das ganze Haus.
Als stünde auf dem Spiel hier das Los von aller Welt.
Voll Spott schaut nur das Karma den Aufgescheuchten zu.
Es ist allgegenwärtig und kennt im Voraus stets
Das Ende des Spektakels, das man »das Schicksal« nennt.
Niemand entgeht auf Erden dem vorbestimmten Weg.
Er schlägt die Trommel.
Der Unhörbare beginnt sich zu bewegen – er jongliert mit den Holzmessern. Sen-Chan klatscht in die Hände. Soga steigt von der Veranda herunter und geht entschlossen auf den Jongleur zu. Der zeigt ihm, dass die Messer aus Holz sind, doch es sind nicht die Messer, die den Ronin interessieren.
SOGA Hör zu, was ich dir sage, Freund, du gefällst mir nicht. Du täuschst vielleicht die Frauen, ich fall nicht auf dich rein. Nimm deine Maske ab jetzt, damit ich sehen kann, was du verbirgst darunter, ob du uns nicht betrügst.
Der Jongleur wehrt mit clownesken Gesten ab: »Nein! Ich bin entstellt!«
Das schreckt mich nicht, ich sah schon manch scheußliches Gesicht. Ohne Augen und Nase, von Schwertern wüst entstellt …
Er will den Unhörbaren an der Schulter packen, doch der weicht geschickt aus. Das wiederholt sich mehrere Male. Soga wird ärgerlich.
He, Bruder, lass die Faxen! Es ist mir ernst damit! Oder willst du erst kosten die Stärke meiner Faust?
Ijumi kommt aus dem Pavillon heraus auf die Engawa und beobachtet die beiden. Unterdessen nutzt Sen-Chan den Umstand, dass niemand sie beachtet, geht zu der Lampe und gießt sich Öl auf die Ärmel.
IJUMI Hört auf, den Mann zu quälen, ich bitt’ Euch, Soga-san! Ohne Gesicht zu leben, das ist ein schlimmes Los. Und wer ein solches Unglück dennoch voll Mut erträgt, wer nicht davon gebrochen, verdient unsern Respekt.
Sie berührt ihr Gesicht und schaudert. Sen-Chan wiederholt die »Zaubergeste« des Unhörbaren vor seinem Feuertrick.
SOGA Ich lehre Euch nicht tanzen und singen, liebe Frau. So lasst auch mich in Ruhe hier meine Arbeit tun.
SEN-CHAN
(schlägt mit einem Feuerstein Funken, entzündet den Zunder und ruft)
Seht alle her, nun schaut doch! Ich führe euch jetzt auch mit meiner Zaubergeste den Vogel Phönix vor!
Sie entzündet ihren Kimono. Er flammt auf. Ijumi schreit entsetzt. Soga erstarrt verwirrt. Nur der Unhörbare ist nicht gelähmt. Er läuft zu dem Mädchen, reißt ihr mit bloßen Händen den brennenden Kimono vom Leib und schleudert ihn zu Boden. Das Mädchen weint erschrocken, aber sie ist unversehrt. Der Unhörbare sinkt auf die Knie, krümmt sich vor Schmerzen und presst die verbrannten Hände gegen die Brust, gibt aber keinen einzigen Laut von sich. Soga und Ijumi laufen zu Sen-Chan.
IJUMI Was hast du angerichtet? Du Dummchen, bist du heil?
SOGA
(untersucht das
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