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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Okasan, neben ihr ihre Ziehtöchter. Zu deren Seiten – die Schülerinnen Yuba und Sen-Chan, einen Fächer in der Hand. Die Sonne scheint hell. Es ist heiß.
    Soga schaut um die Ecke, wachsam wie immer.
     
    ERZÄHLER
    Okasan hat des weisen Kubota Rat befolgt,
    Und in der Stadt verkündet folgenden lauten Ruf:
    »Das gute Haus Yanagi lädt für ein großes Fest
    Jongleure, Akrobaten, Gaukler und Narren ein.«
    Auf Jahrmärkten, im Zirkus tönt dieser Ruf weithin.
    Am nächsten Tag schon kommen sie von überall her.
    Anspruchsvoll ist die Herrin, erlesen ihr Geschmack.
    Die Ehre ihres Hauses, die setzt sie nicht aufs Spiel.
    Nicht einer will ihr passen, doch dann, am Abend erst
    Meldet sich im Yanagi ein gar seltsamer Mann …
     
    Der Erzähler schlägt die Trommel. Alle geraten in Bewegung: die Damen, die Schülerinnen mit den Fächern, Soga, der immer wieder verschwindet und wieder auftaucht.
     
    Die Bühne betritt der Unhörbare. Er trägt keinen Kimono, sondern ein enganliegendes Trikot mit farbigen Narrenstreifen. Sein Gesicht ist hinter einer Seidenmaske mit aufgemalter Narrenfratze mit breitem Mund verborgen. Er hat eine Tasche mit Requisiten dabei. Der Unhörbare geht in wackelndem Clownsgang auf Okasan zu. Sen-Chan kichert, eine Hand vorm Mund.
     
    Mit der Geste eines Zauberkünstlers greift der Unhörbare ein zusammengerolltes Blatt Papier aus der Luft und reicht es der Herrin.
     
    ERZÄHLER
    Respektvoll sich verbeugend, reicht er ihr das Papier.
    Sie nimmt es, um zu lesen, was dort geschrieben steht:
    »Bin leider stumm geboren. Ich heiße Niemandnicht.
    Weil mein Gesicht entstellt ist, verhülle ich es stets.
    Kostproben meiner Künste will ich Euch zeigen nun.«
     
    Okasan zuckt die Achseln, zeigt den Brief erst der einen Ziehtochter, dann der anderen. Dann bedeutet sie dem Unhörbaren, er möge anfangen. Ein Scheinwerferstrahl erhebt sich und beleuchtet ein über die Bühne gespanntes Seil. Der Unhörbare nimmt ein Seil mit einem Haken aus seiner Tasche, wirft es geschickt über das gespannte Seil und klettert in Windeseile hinauf. Er läuft über das Seil, wobei er so tut, als würde er gleich abstürzen. Dann jongliert er mit zwei Messern, die er aus der Tasche gezogen hat. Die Zuschauer sehen fasziniert zu. Sen-Chan vergisst, mit dem Fächer zu wedeln, und kreischt vor Begeisterung.
     
    ERZÄHLER
    Es ist leicht zu erraten, wer dieser Mann hier ist –
    Es ist der Unhörbare, den der Shinobi schickt.
    Dass sein Gesicht verhüllt ist, hat einen simplen Grund:
    Kein Fremder darf das Antlitz eines Shinobi sehn.
    Er zeigt sich ohne Maske nur dem, dem er vertraut,
    Nur unter seinesgleichen nimmt er die Maske ab.
    Er ist nicht stumm geboren. Wie er es wurde, ist
    Eine Geschichte, die sich hier zu erzählen lohnt.
    Er war ein junger Ninja, als ihm befohlen ward
    Einen Jonin zu töten – ein Auftrag voll Gefahr.
    Wenn lebend man ihn fasste und ihn gefangen nahm
    Und ihm die Zunge löste, wäre das eine Schmach.
    Drum schnitt er vor dem Auftrag sich seine Zunge ab
    Ohne zu zögern, denn er war sich des Tods gewiss.
    Seitdem wird er von allen »Unhörbarer« genannt.
    Und hoch geschätzt für seine Ehre und Meisterschaft.
     
    Der Akrobat springt hinunter und reicht der Herrin ein weiteres Blatt Papier.
     
    OKASAN
(liest laut vor)
»Nun erlaubt mir zu zeigen den Feuervogel Hoo. Es brennen seine Flügel, doch sie verbrennen nicht. Miteiner Zaubergeste beherrsche ich die Kunst, die böse Kraft des Feuers zu bannen, wenn ich will.«
     
    Der Unhörbare demonstriert ein eindrucksvolles Kunststück. Er holt clowneske Vogelflügel aus seiner Tasche und befestigt sie an seinen Ärmeln. Dann nimmt er die Öllampe von der Engawa und gießt Öl auf die Flügel. Er vollführt eine »Zaubergeste«: Er geht komisch in die Hocke und breitet die Arme aus. Dann streicht er sich mit dem Finger übers Knie, und auf dem Finger brennt eine Flamme. Er fährt mit dem Finger erst über den einen Flügel, dann über den anderen, und sie stehen in Flammen. Der Zauberkünstler dreht sich auf der Stelle und wedelt mit den brennenden Flügeln. Alle stöhnen entsetzt auf, Sen-Chan springt auf und kreischt. Währenddessen erklärt der Erzähler, wie das Kunststück funktioniert.
     
    ERZÄHLER
    Der Trick ist zwar effektvoll, doch sehr leicht ausgeführt.
    Sich dabei zu verbrennen riskiert der Künstler nicht.
    Das Öl wird zwar entzündet, die Flügel stehn in Brand,
    Doch ist der Stoff von innen besonders imprägniert.
    Das Feuer

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