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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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viel einfacher. Aber es ist schwer festzustellen, ob sie echt ist oder gespielt.«
    »Egal, das finde ich schon heraus«, sagte Fandorin ungeduldig. »Leichter, sagst du? Sogar viel leichter?«
    »Ganz leicht wäre es, wenn Sie Regisseur wären, Stückeschreiber oder in der Zeitung über das Theater schreiben würden. Schauspielerinnen sehen nur in diesen drei Arten von Männern höhere Wesen.«
    Fandorin erinnerte sich an das Lächeln, das Elisas Gesicht erhellt hatte, als sie ihn für einen Theaterkritiker hielt, und er schaute seinen Berater begierig an.
    »Und? Nun red schon!«
    Masa fuhr bedächtig fort: »Regisseur können Sie nicht sein, dafür braucht man ein eigenes Theater. Kritiken zu schreiben ist natürlich nicht schwer, aber es wird lange dauern, bis Sie sich einen Namen gemacht haben. Schreiben Sie ein gutes Stück mit einer schönen Rolle für die Schauspielerin. Das ist am einfachsten. Ich habe einmal geschrieben. Das ist nicht schwer, ja, sogar angenehm. Das ist mein Rat, Herr.«
    »Machst du dich über mich lustig? Ich kann keine Stücke schreiben!«
    »Um einer Frau seine Liebe zu beweisen, muss man Heldentaten vollbringen. Für einen Mann wie Sie ist die Überwindung von hundert Hindernissen oder der Sieg über einen Bösewicht keine Heldentat. Aber für die Geliebte ein wunderbares Stück zu schreiben – das wäre ein echter Beweis Ihrer Liebe.«
    Erast Petrowitsch schickte den Spezialisten zum Teufel und war wieder allein.
     
    Doch die Idee, die ihm anfangs unsinnig erschienen war, ging ihm ständig im Kopf herum und nahm ihn allmählich gefangen.
    Einer geliebten Frau muss man etwas schenken, das ihr allergrößte Freude bereitet. Elisa ist Schauspielerin. Ihr Leben ist das Theater, ihre größte Freude – eine gute Rolle. Ach, wenn ich dochtatsächlich ein Stück präsentieren könnte, in dem Elisa gern spielen würde! Dann würde sie mich nicht mehr mit höflicher Gleichgültigkeit anschauen. Masas Rat ist gar nicht dumm. Aber leider unausführbar …
    Unausführbar?
    Erast Petrowitsch sagte sich, dass er in seinem Leben schon viele Male vor Aufgaben gestanden hatte, die ihm unlösbar erschienen waren. Aber es hatte sich immer eine Lösung gefunden. Wille, Verstand und Wissen überwinden jedes Hindernis.
    An Willen und Verstand fehlte es nicht. Um das Wissen war es schlechter bestellt … Fandorins Kenntnisse auf dem Gebiet der Dramatik waren minimal. Er musste eine Herkulesaufgabe bewältigen. Doch er konnte es zumindest versuchen – für ein solches Ziel.
    Eines war klar: Elisa nicht zu sehen war unerträglich, aber ihr als Mann aus der Menge gegenüberzutreten, als einer von vielen, das konnte er noch viel weniger. Er hatte bereits einen Nasenstüber kassiert, das genügte. Wenn er ihr erneut begegnete, dann bestens gerüstet.
    So erreichte der harmonische Mensch das letzte Stadium – feste Entschlossenheit.
     
    An die Umsetzung seines Vorhabens ging Erast Petrowitsch mit aller Gründlichkeit. Zunächst umgab er sich mit Büchern: Dramenbänden, Aufsätzen zur Dramatik, Traktaten zu Stilistik und Poetik. Die Technik des schnellen Lesens, Konzentration und fieberhafte Erregung versetzten den künftigen Dramatiker in die Lage, binnen vier Tagen mehrere tausend Seiten zu bewältigen.
    Den fünften Tag verbrachte Fandorin in absoluter Untätigkeit, mit Meditationen, um die innerliche Leere zu schaffen, in der jener lebensspendende Impuls entstehen sollte, der im Westen Inspiration genannt wird, im Osten Samadhi.
    Was für ein Werk er schreiben wollte, wusste Erast Petrowitsch bereits – die Richtung hatte das Gespräch mit Stern über das »ideale Theaterstück« gewiesen. Er musste nur noch den Augenblick abwarten, da die Worte von selbst fließen würden.
    Gegen Abend begann der auf die Erleuchtung wartende Fandorin sich in einem bestimmten Rhythmus zu wiegen, und seine halbgeschlossenen Lider öffneten sich weit.
    Er tauchte die Stahlfeder in die Tinte und schrieb den langen Titel nieder. Anfangs bewegte sich seine Hand langsam, dann immer schneller, bis sie den ins Freie drängenden Wörtern kaum noch folgen konnte. Die Zeit hüllte das Arbeitszimmer in eine schaukelnde, funkelnde Wolke. Tief in der Nacht, als ein majestätischer Vollmond am Himmel stand, hielt Erast Petrowitsch plötzlich inne, weil er spürte, dass die magische Energie versiegt war. Ein Tintenklecks fiel auf das Papier, und der Federhalter entglitt seiner Hand. Er lehnte sich in den Sessel zurück und konnte

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