Moskauer Diva
musste sich eingestehen, dass er unheilbar vergiftet war.
Er zog sich an, griff nach seiner Jadekette und stellte sich voll und ganz dem Problem. So begann das dritte Stadium – die Verarbeitung.
Ich bin verliebt, das zu bestreiten ist absurd. Das erstens. (Er ließ eine grüne Kugel klacken.)
Offensichtlich wäre ein Leben ohne diese Frau für mich freudlos. Das zweitens. (Erneutes Klacken.)
Also muss ich dafür sorgen, dass sie mein wird – ganz einfach. Das drittens.
Das war schon die ganze logische Kette.
Er fühlte sich gleich besser. Bei einem Mann der Tat wie Fandorin löst ein klar umrissenes Ziel einen Energieschub aus.
Zunächst musste er seine gegenwärtigen Maximen korrigieren, die eine derartige überraschende Wende auf dem harmonischen Weg ins Alter nicht vorsahen.
Da geht ein Mensch übers freie Feld, das er im Laufe seines Lebens zu durchmessen hat, blickt gelassen auf die fließende Linie des Horizonts, der allmählich klarer zu werden und näher zu rückenscheint. Der Weg ist angenehm, seine Schritte gleichmäßig, am Himmel über ihm stehen ruhige Wolken – keine Sonne, kein Regen. Und plötzlich – ein Donnerschlag, ein Blitz, und ein ungestümer elektrischer Pfeil durchfährt sein ganzes Wesen, Finsternis senkt sich auf die Erde, er sieht weder Weg noch Horizont, weiß nicht mehr, wohin er gehen muss, und vor allem – ob er es überhaupt tun soll. Der Mensch denkt und Gott lenkt.
Sein Körper und seine Seele waren von elektrischen Vibrationen erfüllt. Fandorin fühlte sich wie eine Schildkröte, die plötzlich ohne Panzer dasteht. Das war beängstigend und beschämend, aber dafür hatte er das Gefühl,
als atme seine gesamte Haut
. Und als habe er geschlafen und sei nun erwacht. Oder melodramatischer: Als sei er von den Toten auferstanden. Ich habe mich wohl vor der Zeit begraben, dachte Erast Petrowitsch, immer rascher mit den Jadekugeln klackend. Vorerst geht das Leben weiter, und Überraschungen
jeder Art
sind möglich – glückliche wie katastrophale. Wobei die wichtigsten beides zugleich sind.
Fandorin saß im Sessel, den Blick auf das sich langsam erhellende Fenster gerichtet, und lauschte verwirrt den Veränderungen in seinem Inneren.
So fand ihn Masa, der kurz nach sieben vorsichtig zur Tür hereinschaute.
»Was ist passiert, Herr? Seit vorgestern sind Sie nicht Sie selbst. Ich habe Sie nicht belästigen wollen, aber das macht mir Sorgen. Ich habe Sie noch nie so gesehen.«
Nach kurzem Nachdenken korrigierte sich der Japaner.
»Ich habe Sie lange nicht so gesehen. Sie sehen auf einmal so jung aus. Wie vor dreiunddreißig Jahren. Sie sind bestimmt verliebt?«
Als Fandorin den Hellseher erstaunt ansah, schlug Masa sich auf die glänzende Glatze.
»Genau! Oh, wie beunruhigend! Da muss etwas unternommen werden.«
Er ist mein einziger Freund, und er kennt mich besser als ich mich selbst, dachte Erast Petrowitsch. Vor ihm etwas zu verbergen ist sinnlos, außerdem weiß Masa mit der weiblichen Psyche Bescheid. Er kann mir helfen!
»Sag mir, wie erringt man die Liebe einer Schauspielerin?«, stellte Fandorin ohne Umschweife auf Russisch gleich die wichtigste Frage.
»Lichitige oder gesepielte?«, erkundigte sich sein Diener sachlich.
»Wie? Was heißt ›gespielte Liebe‹?«
Über Gefühlsdinge äußerte sich Masa lieber in seiner Muttersprache, weil er sie für subtiler hielt.
»Eine Schauspielerin ist nichts anderes als eine Geisha oder Kurtisane von höherem Rang«, begann er. »Eine solche Frau kennt zwei Arten von Liebe. Ihre gespielte Liebe ist leichter zu erringen – sie können Liebe wunderbar vortäuschen. Ein normaler Mann braucht auch nicht mehr. Im Namen einer solchen Liebe ist die Schöne durchaus imstande, einige Opfer zu bringen. Sich zum Beispiel als Beweis ihrer Leidenschaft die Haare abzuschneiden. Oder sogar ein Stück vom kleinen Finger. Aber nicht mehr. Doch manchmal, sehr selten, wird das Herz einer solchen Frau auch von echtem Gefühl ergriffen, einem Gefühl, für das sie sogar zum gemeinsamen Selbstmord bereit ist.«
»Scher dich zum Teufel mit deiner japanischen Exotik!« Erast Petrowitsch war wütend. »Ich rede nicht von einer Geisha, sondern von einer Schauspielerin, einer normalen europäischen Schauspielerin.«
Masa überlegte.
»Ich hatte Schauspielerinnen. Drei. Nein, vier – die Mulattin aus New Orleans mitgerechnet, die auf dem Tisch tanzte … Sie haben wohl recht, Herr. Sie sind anders als Geishas. Ihre Liebe zu erringen ist
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