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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ist ein Tempel! Der Dienst des Schauspielers ist eineerhabene Mission! Ohne Ehrfurcht und sakrale Objekte können wir nicht existieren!« Stern weinte fast. »Derjenige, der das getan hat, wollte mich beleidigen, uns alle, unsere Kunst! Was sind das für Krakel? Was haben sie zu bedeuten? Wie oft muss ich das noch wiederholen: Bei mir im Theater wird es keinen Soloabend geben. Das erstens. Und zweitens – unser Heiligtum zu besudeln, das ist das Gleiche, wie eine Kirche zu beschmutzen. So etwas tut nur ein Vandale!«
    Manche hörten ihm voller Mitgefühl zu, andere teilten seinen Ärger, aber auch Lachen war zu hören. Der Autor der dummen Inschrift offenbarte sich jedenfalls nicht.
    »Gehen Sie, alle«, sagte der Regisseur mit schwacher Stimme. »Ich will niemanden sehen … Ich kann heute unmöglich arbeiten. Morgen, morgen …«
    Da alle den Leidenden ansahen, nutzte Fandorin die Gelegenheit und ließ kein Auge von Elisa. Sie schien ihm unerreichbar fern, in der Tat wie der Stern Altaïr, und dieser Gedanke war merkwürdig qualvoll.
    Er begriff: Gegen diesen Schmerz musste er etwas tun, von allein würde er nicht vergehen.
    Es gibt keine unlösbaren Probleme
    Fandorin konnte schon die zweite Nacht nicht einschlafen. Dabei waren seine Gedanken keineswegs mit Deduktionen wegen der Schlange im Blumenkorb beschäftigt. Die Gemütsverfassung des harmonischen Menschen durchlief mehrere Stadien.
    Im ersten Stadium entdeckte Fandorin plötzlich die simple Wahrheit, die ein weniger kluges und kompliziertes Individuum weit eher erkannt hätte. (Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Erast Petrowitsch diese Seite im Buch seines Lebens als endgültig zugeschlagen betrachtet hatte.)
    Ich bin verliebt, sagte sich der Fünfundfünfzigjährige, der in seinem Leben so einiges gesehen und erlebt hatte. Er staunte sehr, lachte in der Stille des leeren Zimmers sogar auf. Kein Zweifel – ich bin verliebt? Verliebt wie ein Jüngling, voller jugendlicher Leidenschaft? Nicht doch! Was für eine beschämende Dummheit, ja Geschmacklosigkeit! Mit zweiundzwanzig für immer das Herz verlieren, dann ein Drittel Jahrhundert auf der schwelenden Asche dieser Liebe leben, ungerührt vernichtende Schicksalsschläge hinnehmen und in den bedrohlichsten Situationen kühlen Verstand bewahren, in reifem Alter zu seelischer Ruhe und Klarheit gelangen – und dann erneut kindisch werden, die lächerliche Figur eines Verliebten abgeben?!
    Und vor allem – verliebt in wen! In eine Schauspielerin, also ein a priori unnatürliches, geziertes Geschöpf, das daran gewöhnt ist, Männern den Kopf zu verdrehen und ihnen das Herz zu brechen!
    Aber das war nur die eine Hälfte des Problems. Die andere war noch demütigender. Die Verliebtheit war einseitig, die andere Seite erwiderte sie nicht, ja, sie interessierte sich nicht einmal für ihn.
    In den vergangenen Jahren hatten so viele Frauen – schöne und kluge, schillernde und ernsthafte, teuflische und engelsgleiche – ihn mit ihrer Verehrung und Leidenschaft beglückt, und er hatte sich bestenfalls von ihnen lieben lassen und dabei fast immer Kaltblütigkeit bewahrt. Und diese hier erklärte: »Ich gehöre nur mir selbst.« Und schaute ihn an wie eine lästige Fliege!
    So geriet Erast Petrowitsch unmerklich ins zweite Stadium – Empörung.
    Gehören Sie doch, wem Sie wollen, meine Dame, was kümmert mich das! Ich bin verliebt? Was für ein Unfug einem manchmal in den Sinn kommt! Erneut auflachend (diesmal nicht erstaunt, sondern ärgerlich), befahl er sich, sich die Schauspielerin mit dem hochtrabenden Künstlernamen aus dem Kopf zu schlagen. Sollten sie in ihrem netten kleinen Theater doch selber sehen, wer da wemausgesprochene Gemeinheiten antat respektive eine Schlange in den Korb legte. Der Aufenthalt in diesem Irrenhaus war für die Psyche eines rationalen Menschen gefährlich.
     
    Erast Petrowitsch besaß einen eisernen Willen. Er hatte sich entschieden – und damit Schluss. Er machte seine Abendgymnastik und aß sogar zu Abend. Im Bett las er ein wenig Marc Aurel, dann löschte er das Licht. Doch im Dunkeln überfiel ihn die Versuchung mit neuer Heftigkeit. Plötzlich sah er ihr Gesicht mit dem an ihrem Gegenüber abgleitenden Blick, vernahm ihre sanfte, tiefe Stimme. Die »Prinzessin Lointaine« zu vertreiben hatte er weder die Kraft noch, was schlimmer war, den Wunsch.
    Bis zum Morgengrauen wälzte sich Fandorin herum und versuchte immer wieder, das lockende Bild zu vertreiben. Aber er

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