Moskauer Diva
endlich, zum ersten Mal seit Tagen, einschlafen. Die Lampe brannte weiter.
Lautlos kam Masa ins Zimmer und deckte seinen Herrn mit einem Plaid zu. Er las das Geschriebene und schüttelte seufzend und skeptisch seinen mondrunden Kopf.
Sieben Einheiten bis zum Soloabend
Dshingis Khans Rache
Lieber gar nicht erst hinlegen. Wieder das Gleiche: Ein Gesicht voller Sauerkraut und lautlos singende Lippen, von einem Bart umhüllt. Eigentlich fing der Traum sehr schön an. Sie fährt eine Landstraße entlang – nicht in einem Auto, sondern in einer Kutsche. Rhythmisches Hufeklappern, leise klirrendes Pferdegeschirr, sanftes Wippen, das süße Wellen in ihr aufsteigen lässt. Sie ist ganz allein, sie möchte am liebsten fliegen, eine Vorahnung von Glück erfüllt ihr Herz, sie ist vollkommen wunschlos, sie möchte nur immer so auf diesem federnden Sitz gewiegt werden und auf die nahe Freude warten …
Plötzlich klopft jemand ans linke Fenster. Sie schaut hin – ein blau angelaufenes Gesicht mit geschlossenen Augen, von den großen scheckigen Ohren hängt Sauerkraut herab. Eine Hand mit einem Siegelring rückt die Krawatte zurecht, und die bewegt sich. Es ist keine Krawatte, es ist eine Schlange!
Nun klopft es auch rechts. Sie fährt herum – dort ist ein Sänger mit einem grellroten Bart. Er schaut sie durchdringend an, öffnet den Mund, vollführt eine ausladende Geste mit dem Arm, aber sie hört keinen Ton.
Nur das Klopfen: Poch-poch-poch, poch-poch-poch!
Eine Zeitlang hatten die Träume beinahe aufgehört. Sie war nicht einmal sehr erschrocken, als sie in der »Armen Lisa« in der dritten Reiheim Parterre die wohlbekannte Glatze und den hasserfüllten Blick unter den zusammengewachsenen schwarzen Brauen entdeckte. Sie hatte gewusst, dass er früher oder später auftauchen würde, war innerlich darauf gefasst und zufrieden, weil sie sich so gut beherrschte.
Doch als sich nach der Vorstellung plötzlich ein Schlangenkopf mit genau solchen wütenden kleinen Äuglein aus dem Blumenkorb wand, fiel der Alptraum erneut über sie her, mit noch größerer Wucht. Wäre der liebe, rührend verliebte Dewjatkin nicht gewesen … Brr – lieber nicht daran denken!
Zwei Tage lang gestattete sie sich keinen Schlaf, weil sie wusste, wie das enden würde. Am dritten Tag siegte die Müdigkeit – und dann folgte natürlich das schreckliche Erwachen. Mit Schreien, krampfhaftem Schluchzen und Schluckauf. Seitdem war es jede Nacht das Gleiche: Der alte Petersburger Traum, in dem sich nun auch noch eine Schlange eingenistet hatte.
Im Schlafsaal der Ballettschule hatte die kleine Lisa vorm Schlafengehen ihren Freundinnen oft Heldinnen vorgespielt, die starben. An langsam wirkendem Gift, wie Kleopatra, oder an Schwindsucht, wie die Kameliendame. Auch die von einem Dolch durchbohrte Julia taugte dafür, denn bevor sie sich erstach, sprach sie noch einen rührenden Monolog. Sie hatte es genossen, mit geschlossenen Augen dazuliegen und die Mädchen schluchzen zu hören. Die anderen waren nach Abschluss der Schule alle Tänzerinnen geworden, einige sogar zu Berühmtheit gelangt, aber die Karriere einer Ballerina war kurz, und Lisa wollte bis ins Alter dem Theater dienen, wie Sarah Bernhardt, darum entschied sie sich für das Schauspiel. Sie träumte davon, auf der Bühne leblos zusammenzubrechen wie Edmund Kean 1 , so dass die Zuschauer dachten, das gehöre zur Rolle, aber trotzdem schluchzten, und ihren letzten Atemzug unter Beifall und Bravo-Rufen zu tun.
In die Ehe war Lisa früh geflattert. Sie hatte die Prinzessin Lointaine gespielt, Sascha Lejkin den verliebten Prinzen Jaufre. Der erste Erfolg, der erste Rausch allgemeiner Verehrung. In der Jugend verwechselt man so leicht Bühne und Leben! Natürlich trennten sie sich wieder, schon sehr bald. Schauspieler dürfen nicht zusammenleben. Sascha verschwand irgendwo in der Provinz, von ihm blieb ihr nur der Name. Aber eine Jugendliche Heldin kann nicht »Lisa Lejkina« heißen, also wurde sie Elisa Lointaine.
War ihre erste Ehe lediglich unglücklich, so war die zweite eine Katastrophe. Und wieder war sie selbst schuld. Sie hatte sich verführen lassen von der interessanten Schicksalswende und dem Glanz von Äußerlichkeiten. Und nicht zuletzt vom klangvollen Titel. Heirateten nicht viele Schauspielerinnen nur, um sich »Eure Erlaucht« oder »Eure Durchlaucht« nennen zu lassen? Und »Eure Hoheit« klang noch pompöser. So musste die Gemahlin eines Khans nämlich angesprochen
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