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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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hartnäckigsten Verehrer – den Leibhusaren Wolodja Limbach. Unter den fanatischen Petersburger Theaterliebhabern gab es viele junge Offiziere. Zu den Verehrern jeder jungen, einigermaßen berühmten Schauspielerin, Sängerin oder Ballerina gehörten diese lärmenden, begeisterten Jünglinge. Sie applaudierten stürmisch, bewarfen ihr Idol mit Blumen, zischten deren Konkurrentin aus, und nach einem Soloabend oder einer Premiere spannten sie Kutschpferde aus und ließen ihre Herzensdamedurch die Stadt reiten. Ihre Anbetung war schmeichelhaft und nützlich, aber manche der jungen Männer kannten kein Maß und überschritten dreist die Grenze zwischen Verehrung und Belästigung.
    In anderer Gemütsverfassung hätte Elisa womöglich über Limbachs Streich gelacht. Gott allein wusste, wie er auf das Gesims der Beletage gelangt war. Nun aber wurde sie von Zorn erfasst. Der verfluchte junge Windhund! Wie hatte er sie erschreckt!
    Sie sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Der Kornett konnte im Dämmerlicht eine nahezu unbekleidete weiße Gestalt ausmachen und presste das Gesicht gierig gegen die Fensterscheibe. Ohne daran zu denken, dass der Junge hinunterfallen und sich den Hals brechen konnte, löste Elisa den Fensterriegel und stieß die nach außen öffnenden Flügel auf.
    Der Blumenstrauß flog hinunter, Limbach verlor von dem Stoß das Gleichgewicht, stürzte jedoch nicht ab. Entgegen den Gesetzen der Erdanziehung hing der Offizier in der Luft, schwankend und sich leicht um die eigene Achse drehend.
    Die Lösung des Rätsels war einfach: Der Frechling hatte sich mit einem um die Hüfte geschlungenen Seil vom Dach abgeseilt.
    »Göttliche!«, rief Limbach abgehackt und keuchend. »Lassen Sie mich ein! Ich möchte nur! Den Saum! Ihres Negligés! Küssen! Voller Andacht!«
    Elisas Zorn war plötzlich wie weggeblasen, verdrängt von einem schrecklichen Gedanken. Wenn Dshingis Khan davon erfuhr, würde der dumme Junge sterben!
    Sie schaute die Twerskaja hinunter, die zu dieser toten Stunde vollkommen leer war. Aber konnte sie sicher sein, dass der verfluchte Irre sich nicht in einem Torbogen oder hinter einer Straßenlaterne versteckte?
    Elisa schloss wortlos das Fenster und zog die Vorhänge zu. Sich auf ein Gespräch einzulassen, den Kornett zu beschwichtigen oder zu beschimpfen würde das Risiko nur erhöhen.
    Aber Limbach würde nicht von ihr ablassen. Sie würde nun nicht einmal nachts, in ihrem eigenen Zimmer, Ruhe vor ihm haben. Das Schlimmste war, dass das Fenster direkt auf die Straße hinausging …
    Während des Moskauer Gastspiels war die Truppe der »Arche Noah« im »Louvre-Madrid« an der Ecke Leontjewski-Gasse abgestiegen. »Louvre« hieß das elegante Hotel mit der Fassade zur Twerskaja. Hier wohnten der Regisseur, die Erste Schauspielerin und der Erste Schauspieler in Luxusappartements. Der bescheidenere Teil des Hotelkomplexes, die Zimmer des »Madrid«, ging auf die Leontjewski-Gasse hinaus. Dort wohnten die übrigen Schauspieler. Gastierende Truppen stiegen oft in diesem Etablissement ab, das wie geschaffen war für die Theaterhierarchie. Witzbolde unter den Schauspielern hatten den langen Flur, der das glanzvolle Hotel und die anspruchslosen Zimmer miteinander verband, »die schwer passierbaren Pyrenäen« getauft.
    Wenn das noch einmal geschieht, muss ich mit jemandem hinter den Pyrenäen tauschen, überlegte Elisa, beruhigte sich ein wenig und lächelte sogar. Natürlich ließen diese Liebestollheiten sie nicht völlig gleichgültig. Er ist eigens aus Petersburg hergeeilt, der kleine Teufel. Bestimmt hinter dem Rücken seiner Vorgesetzten. Dafür würde er bestimmt im Arrest schmoren. Aber das war nicht das Schlimmste, was ihm passieren konnte.
    Schlimmes
    Nach dem Skandal während der Vorstellung der »Armen Lisa« wurde so viel über das Theater geredet und geschrieben, dass Stern entgegen seinen ursprünglichen Plänen weitere Vorstellungen ansetzte. Die Aufregung um die »Arche« erreichte ein ungeahntes Ausmaß; Spekulanten verkauften die Karten statt für den dreifachen fast für den zehnfachen Preis. An jeder passenden und unpassendenStelle im Saal wurden zusätzliche Stühle aufgestellt. Bei jedem Auftritt spürte Elisa, wie zweitausend Augen sie gierig musterten – als warteten sie darauf, dass der Diva erneut etwas Unerhörtes zustieße. Doch anders als üblich bemühte sie sich, nicht in den Saal zu schauen. Sie fürchtete, dem irren Blick unter den zusammengewachsenen Brauen zu

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