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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sprach mit Gefühl Gebete, die Klubnikina schluchzte, Mefistow und die Lissizkaja erörterten flüsternd, mit wem der Verstorbene die Nacht verbracht haben mochte. Rasumowski seufzte: »Tja, das hat er nun von den Frauen und vom Suff, der unselige Schürzenjäger. Ich habe ihn gewarnt.« Dewjatkin, derdie Untätigkeit nicht ertrug, versuchte aufzuräumen – er richtete einen umgekippten Stuhl auf und griff nach dem auf dem Boden liegenden Zinnkelch (eine Hamlet-Requisite). »Wo nehmen wir jetzt einen Lopachin her?«, fragte Noah Nojewitsch in den Raum hinein.
    Endlich trafen ein Polizeibeamter und ein Arzt ein, baten alle, hinauszugehen, und schlossen die Tür. Die Untersuchung des Körpers dauerte lange. Die Männer, bis auf Noah Nojewitsch, gingen in die Kantine, auf einen Gedenkschluck für den Verstorbenen. Der erste Reporter, der wer weiß woher von der Tragödie erfahren hatte, tauchte auf, danach ein zweiter und ein dritter. Und Fotografen.
    Elisa ging unverzüglich in ihre Garderobe (ebenso wie Smaragdow stand ihr laut Vertrag eine Einzelgarderobe zu). Sie setzte sich vor den Spiegel und überlegte, was sie zur Trauerfeier anziehen sollte. Die Beerdigung würde ja nicht hier stattfinden, sondern in Petersburg – Ippolit hatte eine Frau, die das Theater und alles, was damit zu tun hatte, hasste. Nun würde ihr flatterhafter Gatte endlich zu ihr zurückkehren, und sie würde ihn so begraben, wie sie es für richtig hielt.
    Elisa probierte verschiedene Trauermienen aus.
    Dann wurde es laut im Flur, Schritte waren zu hören, aufgeregte Stimmen, sogar ein Schrei. Elisa begriff, dass die Polizei fertig war und sie nun hinausgehen musste, zur Presse. Sie stand auf und warf sich die Federboa aus den »Drei Schwestern« um – sie passte in Form und Farbe zur Trauer. Sie verzog kummervoll die Brauen und ließ die Mundwinkel ein wenig herabhängen. Ihre Stirn und ihre Wangen waren von Natur aus blass. Und ihre Augen wurden beim Gedanken an den armen Ippolit umgehend feucht, sie würden auf den Fotos glänzen. Was für ein Kummer, wie entsetzlich, sagte sich Elisa, um sich einzustimmen.
    Aber das war noch nicht das Schrecklichste. Erschreckend wurde es erst, als das sommersprossige Gesicht von Soja Durowa zur Tür hereinschaute.
    »Stellen Sie sich das vor, Elisa! Der Arzt sagt, Smaragdow hat sich vergiftet! Bestimmt aus unglücklicher Liebe! Nein, wer hätte das von Smaragdow gedacht! Die Reporter sind wie verrückt!«
    Und schon rannte sie mit der erschütternden Neuigkeit weiter.
    Elisa aber dachte an den Impresario Furschtatski. Und an noch etwas – erst jetzt, in diesem Augenblick.
    Als Hamlet-Smaragdow Ophelia ins Gesäß gekniffen hatte und manche im Saal entsetzt reagierten, andere belustigt, hatte Elisa aus den Augenwinkeln bemerkt, wie eine Gestalt im schwarzen Frack abrupt aufsprang und hinausging. Sie war frappiert und überrascht gewesen und hatte nicht genauer hingeschaut, doch nun sah sie dieses Bild deutlich vor sich, wie ein Foto. Elisa besaß eine für eine Schauspielerin äußerst wichtige Fähigkeit: Details im Gedächtnis zu behalten.
    Der Mann, der den Saal verließ, hatte quadratische Schultern gehabt, einen humpelnden Gang und eine glänzende Glatze. Es war Dshingis Khan, zweifellos – da war sie sich nun ganz sicher.
    Elisa unterdrückte einen Schrei und griff nach einem Stuhl, um nicht zu fallen. Doch sie fiel trotzdem. Ihre Beine gaben nach, als wären sie aus Watte.
     
    Die Trauerfeier für Ippolit Smaragdow leitete Noah Nojewitsch persönlich; er behandelte die traurige Veranstaltung wie eine Theaterinszenierung.
    Es wurde ein beeindruckendes Schauspiel. Der Sarg wurde, wie es sich gehörte, unter Beifall und dem Geheul eines ganzen Chores untröstlicher Klageweiber – der verwaisten Verehrerinnen des Mimen – aus dem Theater getragen. Der Platz war voller Menschen. Der Zug durchquerte die halbe Stadt, bis zum Nikolaus-Bahnhof, und war über eine Werst 5 lang.
    Elisa lief direkt hinter dem Sarg, den Kopf gesenkt und ohnenach links und rechts zu schauen. Sie trug einen Schleier, den sie von Zeit zu Zeit lüftete, um sich die Tränen abzuwischen.
    Die panische Angst, die von ihr Besitz ergriffen hatte, seit sie die wahre Ursache von Ippolits Tod ahnte, hatte kurzzeitig nachgelassen. Elisa spürte die auf sie gerichteten Blicke und ging ganz in ihrer Rolle auf. Der Verstorbene, in seinem Cyrano-Kostüm (das war seine berühmteste Rolle gewesen), wenn auch ohne die angeklebte Nase, lag in

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