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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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immer mit irgendwem und gelangte so in die nötige Verfassung. Die Reginina trödelte absichtlich herum, um zu spät zu kommen und vom Regisseur angeschrien zu werden. Die mollige Klubnikina schlug sich auf die Wangen (das hatte Elisa mehrfach gesehen). Rasumowski, das wussten alle, leerte eine Taschenflasche. Und Elisa brauchte eben diese kurze, flotte Fahrt und die Begrüßungsrufe – oder, das war auch nicht schlecht, sie eilte mit fliegendem Schritt zu Fuß die Straße entlang, wobei man sie erkannte und sich nach ihr umdrehte.
    Erhitzt, von einem inneren Klingen erfüllt, lief sie die Treppe hinauf, warf ihren Umhang ab, nahm den Hut ab, schaute in den Spiegel (sie war ein wenig blass, aber das stand ihr) und betrat pünktlich um elf den Saal. Alle außer der Reginina und Smaragdow saßen vor der Bühne, in der ersten Reihe. Stern stand oben, eine Uhr in der Hand, und schien jeden Moment zu explodieren. Hinter ihm trat Dewjatkin solidarisch von einem Fuß auf den anderen.
    »Ich begreife nicht, wie man so wenig Respekt vor seinen Kollegen, ja, letztendlich vor der Kunst haben kann«, begann die Lissizkaja mit honigtriefender Stimme.
    Mefistofow fiel ein: »Ob er auf die echte Arche Noah auch zu spät kommen würden? Dieser Mensch, der für sich den Status des Ersten Schauspielers der Truppe in Anspruch nimmt, hält uns alle für Gesinde. Den Regisseur eingeschlossen. Alle müssen warten, bis er zu frühstücken geruht hat! Und diese ewigen Verspätungen der Reginina! Da versetzt man sich in seine Rolle, bereitet sich vor, stimmt sich auf das Spiel ein, und stattdessen …«
    Hier kam wie immer mit den Worten »Ich bin doch nicht zu spät?« die errötete Wassilissa Prokofjewna hereingeeilt. Die Lissizkaja sagte »Ha, ha, ha«, Stern griff sich an die Schläfe, Dewjatkin schüttelte tadelnd den Kopf. Nun hätten sie anfangen können, doch Smaragdow war noch immer nicht da. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Egal, wo und mit wem er die Nacht verbracht hatte, zur Probe erschien er stets rechtzeitig, selbst wenn er so betrunken war, dass er sich nur mit Mühe auf den Beinen hielt.
    »Geht mal jemand in der Garderobe nachschauen. Wahrscheinlich sieht unser Beau so verquollen aus, dass er es nicht schafft, die Ringe unter den Augen wegzupudern«, schlug Rasumowski vor.
    »Gehen Sie doch selber. Hier gibt es keine Diener«, sagte seine Exfrau verächtlich.
    Lowtschilin scherzte: »Was heißt hier, keine Diener? Und ich?«
    Doch er rührte sich nicht vom Fleck. Am Ende ging natürlich der hilfsbereite Wassja Prostakow.
    Wie öde, dachte Elisa und unterdrückte ein Gähnen. Mefistow hat recht: So geht die ganze Einstimmung auf das Spiel zum Teufel.
    Sie nahm einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und übte die Mimik ihrer Figur: unschuldige Freude, rührende Aufregung, Ergriffenheit, leichtes Erschrecken. Alles mädchenhaft zart, in Pastelltönen.
    Stern kanzelte Dewjatkin für irgendetwas ab, Kostja Lowtschilin brachte Serafima zum Lachen, die Lissizkaja stritt kreischend mit der Reginina.
    »Herrschaften … Noah Nojewitsch!«
    Vor den Kulissen stand der totenblasse Wassja. Seine Stimme zitterte und klang brüchig. Alle drehten sich zu ihm um. Der Lärm verstummte.
    »Haben Sie Smaragdow gefunden?«, fragte Stern verärgert.
    »Ja …« Prostakows Lippen zitterten.
    »Und, wo ist er?«
    »In seiner Garderobe … Ich glaube, er … ist tot.«
    »Was für ein Unsinn!«
    Noah Nojewitsch stürmte hinter die Bühne. Die Übrigen hinterher. Der Spiegel in Elisas Hand bebte. In diesem Augenblick dachte sie sich noch nichts, sie war nur erschüttert. Sie eilte den anderen nach.
    Alle waren erschrocken, hilflos und verwirrt. Obwohl auf den ersten Blick zu erkennen war, dass Ippolit tot war (er lag auf dem Boden, auf dem Rücken, einen verdrehten Arm hochgereckt), versuchte jemand, ihn anzuheben, ihn zu beatmen, und ein anderer schrie: »Einen Arzt! Einen Arzt!«
    Schließlich rief Noah Nojewitsch: »Sehen Sie denn nicht? Er ist schon steif. Alle beiseite! Dewjatkin, telefonieren Sie mit der Polizei. Sie haben dort auch einen eigenen Arzt … Wie heißt das … Einen medizinischen Sachverständigen.«
    Elisa begann natürlich zu weinen. Es tat ihr schrecklich leid, dass Smaragdow, der im Leben so unglaublich schön gewesen war, nun so auf dem Boden lag, das Gesicht verzerrt, ein Hosenbein hochgerutscht, und ihm das ganz gleichgültig war.
    Sie standen dicht gedrängt an der Tür und warteten auf die Polizei. Die Reginina

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