Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
musste sich nicht verteidigen, das taten andere für sie. Der herzensgute Wassja Prostakow versuchte, die Streitsüchtige zur Vernunft zu bringen, und auch der zweite treue Paladin, George Dewjatkin, stellte sich schützend vor die Dame.
    »In Abwesenheit des Regisseurs übernehme ich seine Vollmachten!«, erklärte er stolz. »Und ich bitte Sie, Frau Lissizkaja, nicht zu schreien. Im Statut gibt es auch einen Punkt zur Verletzung der Probendisziplin!«
    Xanthippa schwenkte augenblicklich auf die neue Zielscheibe um; es war ihr im Grunde egal, mit wem sie sich zankte.
    »Ach, der Ritter von der traurigen Gestalt! Was machen Sie für ein Theater um den Lopachin-Text wie eine Henne um ihr Ei? Sie kriegen diese Rolle so wenig zu sehen wie Ihre eigenen Ohren! Weil Sie unbegabt sind! Ein Mädchen für alles!«
    Dewjatkin wurde vor Ärger ganz bleich, doch auch für ihn fand sich ein Verteidiger. Genauer, eine Verteidigerin. Soja Durowa sprang auf einen Stuhl – vermutlich, um besser gesehen zu werden – und schrie aus Leibeskräften: »Unterstehen Sie sich, so mit ihm zu reden! Hören Sie nicht auf sie, George! Sie werden ein genialer Lopachin!«
    Dieser verzweifelte Aufschrei entspannte die Atmosphäre. Lachen ertönte.
    »Was für ein Paar, eine Augenweide«, gurrte die Lissizkaja zufrieden. »Sie sollten sich auf seine Schulter setzen, meine Liebe. Und dann ab durch die Straßen und Höfe und fröhlich geträllert ›Avec que la marmotte‹ 8 . Die Einnahmen sind euch sicher.«
    Sie demonstrierte so witzig, wie die Durowa auf Dewjatkins Schulter sitzt und er die Drehorgel spielt, dass das Lachen anschwoll.
    Der unglückliche Assistent wurde wütend, merkwürdigerweise nicht auf die Provokateurin, sondern auf seine ungebetene Verteidigerin.
    »Wer hat Sie gebeten, sich einzumischen?!«, rief er, sich nervös zur Durowa umdrehend. »Jeder meint hier …«
    Damit zog er sich zurück.
    Elisa seufzte. Das Leben kehrte in seine gewohnten Bahnen zurück. Alles war wie immer. Die »Spannungs-Theorie« wirkte nach wie vor. Nur Smaragdow war nicht mehr da …
    Ihr tat die kleine Naive leid, die noch immer auf dem Stuhl verharrte, sich allerdings hingehockt hatte, so dass sie nun aussah wie ein aufgeplusterter Spatz.
    »Sie sollten nicht so offen sein, das haben die Männer nicht gern«, sagte Elisa sanft und setzte sich zu Soja. »Sie mögen George?«
    »Wir sind füreinander geschaffen, aber er begreift das nicht«, klagte diese leise. »Eigentlich müsste ich Sie hassen. Wenn Sie in der Nähe sind, drehen sich alle Männer Ihnen zu wie die Sonnenblumen der Sonne. Meinen Sie, ich sehe nicht, dass er mein Interesse als unangenehm, ja, beleidigend empfindet? Ich heiße zwar Durowa, aber ich bin nicht dumm.«
    »Warum haben Sie sich dann eingemischt?«
    »Er ist so stolz und so unglücklich. In ihm steckt so viel ungenutzteLeidenschaft! Ich kann solche Dinge sehr gut sehen. Ich brauche doch nicht viel. Ich bin nicht Sie, ich bin nicht verwöhnt.« Soja bleckte die Zähne in einem Clownslächeln. »Oh, meine Lebensbedürfnisse sind winzig, meine Liebesbedürfnisse sogar mikroskopisch klein. Meiner Größe entsprechend.« Sie schnitt eine Grimasse und schlug sich auf den Kopf. »Mir würde schon ein Lächeln genügen, ein gutes Wort – wenigstens hin und wieder. Ich bin ja keine, die geliebt wird. Ich bin eine, der man gnädigerweise gestattet, zu lieben. Und selbst das nicht immer.«
    Sie tat Elisa schrecklich leid – so klein, wie sie war, so schmächtig und so komisch selbst in diesem Augenblick der Offenheit. Obwohl (hier meldete sich Elisas professionelles Gedächtnis) – diese Intonation komischer Verzweiflung hatte sie schon in der Rolle des Gavroche benutzt. Eine Schauspielerin war immer Schauspielerin.
    Sie saßen mit gesenktem Kopf nebeneinander und schwiegen, jede dachte an das Ihre.
    Und dann, nach halbstündiger Abwesenheit, kam endlich Noah Nojewitsch zurück, und die Wunder begannen.
    Zum Teufel mit dem »Kirschgarten«
    Elisa hatte Stern lange nicht in so gehobener Stimmung erlebt. In der letzten Zeit hatte er recht gekonnt den Enthusiastischen gespielt, aber eine Schauspielerin ließ sich nicht täuschen: Sie sah genau, dass Noah Nojewitsch unzufrieden war, dass er sich quälte, dass er am Erfolg der neuen Inszenierung zweifelte. Und plötzlich ein derartiger Stimmungsumschwung. Woher?
    »Meine Damen und Herren! Meine Freunde!«, rief Stern und ließ einen strahlenden Blick über seine Kollegen schweifen.

Weitere Kostenlose Bücher