Moskauer Diva
zu mir: Geh nur, Antip, sagt er. Ich habe eine Verabredung. Fröhlich ist er gewesen, hat vor sich hin gesungen. Die Bühnenkleider hatte er schon abgelegt, na, diese Hose mit den Beulen, den Hut mit der Feder und den Säbel. Aber die Becher, aus denen sie beim Fest trinken, die hatte er mitgebracht. Sehr schöne Becher, mit Adlern drauf.«
»Ja, ja, das sagten Sie schon. Und, kam jemand zu ihm?«
»Ich will nicht lügen. Das habe ich nicht gesehen.«
Empört blieb Elisa an der Tür stehen. Nein, so etwas! Dabei hatte dieser Erast Iwanowitsch, nein, Erast Petrowitsch mit dem ungewöhnlichen Familiennamen bei ihrer ersten Begegnung einen ganz guten Eindruck auf sie gemacht. Ein gutaussehender Mann im besten Alter, um die fünfundvierzig, eine vorteilhafte Kombination aus frischem Gesicht und edlem Grau. Nur sein Kleidergeschmack war ein wenig … übertrieben elegant, welcher Mann von Verstand trug heutzutage noch eine Perle in der Krawatte? Aber tadellose Manieren. Das verriet den Mann von Welt. Er hätte sie womöglich sogar interessiert, wäre er mit etwas Bedeutenderem befasst gewesen. Aber ein Dramaturg – das war langweilig, das war etwas für einen Baschmatschkin 6 . Allerdings hatte er sich als »Reisenden« bezeichnet. Vermutlich ein fanatischer Theaterliebhaber, ein reicher Müßiggänger, der begierig darauf war, in die Welt des Theaters einzudringen. Das gab es recht häufig. Im Künstlertheater zumBeispiel spielte ein ehemaliger General unentgeltlich drittklassige Nebenrollen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so neugierig sind«, sagte Elisa verächtlich, als er sie bemerkt hatte.
Seit Ippolit Smaragdows dramatischer Tod bekannt geworden war, befand sich das Theater in einem Zustand regelrechter Belagerung – Reporter, untröstliche Verehrerinnen und Sensationslüsterne wären am liebsten durch die Fenster geklettert. Aber der »Reisende« hatte es offenbar schlauer angestellt: War zu später Stunde erschienen, als sich die Menge zerstreut hatte, und hatte dem Nachtwächter einen Schein zugesteckt.
»Ja, gnädige Frau, hier gibt es sehr vieles, das neugierig macht«, antwortete Fandorin (genau, so hieß er) ebenso kühl und ohne die geringste Verlegenheit.
»Bitte gehen Sie. Fremde dürfen hier nicht herein. Das ist doch wirklich schamlos!«
»Gut, ich gehe. Ich bin eigentlich schon weg.« Er verbeugte sich zum Abschied leicht, ja, lässig, und sagte zu Antip: »Frau Lointaine hat vollkommen recht. Schließen Sie die Tür ab und lassen Sie niemanden mehr hinein. Auf Wiedersehen, Madame.«
Sie entgegnete unwirsch: »Auf Wiedersehen? Sie wollen noch immer Dramaturg bei uns werden?«
»Nein. Aber wir werden uns bald wiedersehen.«
Und da war er nun.
»Ich würde Sie gern unter v-vier Augen sprechen«, sagte der grauhaarige Herr Fandorin zum Regisseur, noch immer mit schlecht gespielter Verlegenheit. Ein Mann mit so eiskalten Augen konnte nicht wissen, was Erregung war! »Aber ich kann warten, bis Sie fertig sind …«
»Nein, nein, auf keinen Fall. Wir unterhalten uns sofort, selbstverständlich unter vier Augen.«
Stern nahm den »Reisenden« am Arm und führte ihn hinaus.
»Beschäftigen Sie sich so lange. Ich bin bald zurück. Denken Sie über den neuen Lopachin nach. Entwerfen Sie Ihr jeweiliges psychologisches Verhältnis zu dieser Figur … Bitte kommen Sie mit in mein Büro, Erast, hm, Petrowitsch.«
Doch Sterns »bald« zog sich hin. Über den neuen Lopachin musste Elisa nicht nachdenken: Erstens kam ihre Anja im Stück kaum in Berührung mit dem Bauernsohn, und zweitens würde den Lopachin letztendlich Leonidow oder ein gleichwertiger Schauspieler übernehmen, jedenfalls ganz bestimmt nicht Dewjatkin, auch wenn der sehr nett war.
Der Ärmste ging von einem zum anderen, Smaragdows Mappe an die Brust gepresst, aber niemand wollte sein »psychologisches Verhältnis« zu ihm entwerfen.
Elisa saß in ein Tuch gehüllt da und hörte den Gesprächen zu.
Mefistow äußerte spöttische Vermutungen über das »imposante Grau« des Dramaturgen und erkundigte sich bei Rasumowski als einem »Fachmann für graue Haare«, wie viel Wäscheblau man brauchte, um ein so edles Weiß zu erzielen. Der phlegmatische Rasumowski ging auf die Provokation nicht ein.
»Sie mögen keine schönen Männer, das ist allgemein bekannt. Das ist Unsinn, bei einem Mann kommt es nicht auf das hübsche Gesicht an, sondern auf das Format«, sagte er friedfertig.
»Nun hören Sie nur, wie vernünftig und
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