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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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unmittelbar erlebt.
    Erschöpft vom ständigen Schlafmangel, hatte sie am Abend zuvor etwas Laudanum genommen und den ganzen Zirkus verschlafen. Geweckt wurde sie erst durch den Krach direkt vor ihrer Tür. Sie zündete eine Kerze an, öffnete – und fand sich Auge in Auge mit dem völlig derangierten, von der Rennerei puterroten Limbach.
    Mit Tränen in den Augen stürzte er sich auf sie.
    »Ich habe Sie gefunden! Mein Gott, was ich alles durchgemacht habe!«
    Noch ganz verschlafen, trat sie beiseite, was der Kornett offensichtlich als Einladung missverstand.
    »Hier lauern überall Erotomaninnen!«, klagte er (was Elisas spätere Vermutungen hinsichtlich der Reginina und der Lissizkaja erklärt). »Aber ich liebe Sie! Nur Sie!«
    Die Liebeserklärung auf der Türschwelle wurde unterbrochen, als Wassja Prostakow um die Ecke gelaufen kam. Er hatte einen festen Schlaf und war darum als Letzter der »Madrider« aufgewacht.
    »Limbach, was tun Sie hier?«, rief er. »Lassen Sie Elisa in Ruhe! Warum liegt George auf dem Boden? Haben Sie ihn geschlagen? Ich rufe Noah Nojewitsch!«
    Da glitt der Kornett rasch ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Nun war Elisa mit ihm allein.
    Nicht, dass sie erschrocken gewesen wäre. Sie hatte schon so einige Hitzköpfe erlebt. Manche, besonders Offiziere und Studenten,hatten noch ganz anderes angestellt. Zudem verhielt sich Wolodja recht friedlich. Er sank auf die Knie, warf den Säbel zu Boden, ergriff den Saum ihres Negligés und presste ihn ehrfürchtig an seine Brust.
    »Mag ich Ihretwegen sterben … Mag man mich sogar aus dem Regiment verstoßen … Meine alten Eltern werden das nicht überleben, aber ohne Sie kann ich nicht sein«, rief er, stammelnd, aber mit viel Gefühl. »Wenn Sie mich von sich stoßen, schlitze ich mir den Bauch auf, wie es die Japaner im Krieg getan haben!«
    Dabei nestelten seine Finger wie aus Versehen an dem dünnen Seidenstoff, der Falten bildete und immer weiter hochrutschte. Der Husar unterbrach sein Klagelied, beugte sich hinunter und küsste Elisas nacktes Knie – und blieb dabei, sich immer weiter nach oben küssend.
    Plötzlich überfiel sie Schüttelfrost. Nicht von seinen schamlosen Berührungen, sondern von einem schrecklichen Gedanken, der ihr in den Sinn gekommen war.
    Was, wenn das Schicksal ihn mir geschickt hat? Er ist verwegen, er ist verliebt. Wenn ich ihm von meinem Alptraum erzähle, dann fordert er Dshingis Khan zum Duell und tötet ihn. Und ich bin frei!
    Doch sogleich schämte sie sich. Aus egoistischen Erwägungen das Leben des Jungen aufs Spiel zu setzen war niederträchtig.
    »Hören Sie auf«, sagte sie schwach und legte ihm die Hände auf die Schultern (Limbachs Kopf war noch immer unter ihrem Negligé verborgen). »Stehen Sie auf. Ich muss mit Ihnen reden …«
    Sie wusste selbst nicht, wie das Ganze ausgegangen wäre. Ob Sie den Mut oder im Gegenteil den Kleinmut aufgebracht hätte, den Jungen in eine lebensgefährliche Geschichte zu drängen.
    Doch es kam zu keiner Aussprache.
    Die Tür wurde von einem mächtigen Stoß aus den Angeln geworfen. Draußen standen der Hotelportier, Prostakow undDewjatkin – mit einer dunkelroten Beule und flammendem Blick. Zwischen sie drängte sich Noah Nojewitsch. Mit einem ärgerlichen Blick erfasste er das unschickliche Bild. Elisa stieß Limbach das Knie gegen die Zähne.
    »Kommen Sie da heraus!«
    Limbach stand auf, nahm seine Stichwaffe unter den Arm, glitt unter den ausgestreckten Armen des Portiers hindurch und rannte hinaus in den Flur, wobei er brüllte: »Ich liebe Sie! Ich liebe Sie!«
    »Lassen Sie uns allein«, befahl Stern. Seine Augen schleuderten Blitze.
    »Elisa, ich habe mich in Ihnen getäuscht. Ich hielt Sie für eine Frau von höherem Rang, doch Sie erlauben sich …« Und so weiter, und so weiter.
    Sie hörte gar nicht zu, den Blick nach unten gerichtet, auf ihre Schuhspitzen.
    Schrecklich? Ja. Gemein? Ja. Aber es ist eher verzeihlich, das Leben eines dummen kleinen Husaren aufs Spiel zu setzen als das eines großen Dramatikers. Selbst wenn das Duell mit dem Tod von Limbach endet, wird Dshingis Khan dennoch aus meinem Leben verschwinden. Er kommt ins Gefängnis oder flieht in sein Khanat oder nach Europa – egal. Ich werde frei sein.
Wir
werden frei sein! Dieses Glück kann man auch mit einem Verbrechen bezahlen … Oder nicht?

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