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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Ophelia und die Jungfrau von Orleans und Marguerite Gautier. Das Herz einer großen Schauspielerin zu erobern war schwer, nahezu unmöglich, doch wenn es gelang, dann war das, als habe man alle diese Heldinnen zugleich erobert. Und wenn nicht, war das auch nicht schlimm, denn: Du liebst die besten Frauen der Welt. Dem Kampf um Erwiderung musst du dein ganzes Leben widmen. Denn selbst wenn du einen Sieg erringst, wird sie dir nie ganz gehören. Die Spannung wird nie nachlassen, aber wer sagt denn, dass das schlecht ist? Das wahre Leben, das ist doch genau diese ewige Unsicherheit, nicht die Mauern, die du um dich herum errichtetest, als du beschlossen hast, klug zu altern.
    Nach dem Bruch, als er sich untersagte, Elisa weiterhin zu sehen, dachte er oft an ein Gespräch mit ihr zurück. Ach, wie gut hattensie in jener kurzen, glücklichen Zeit miteinander geredet! Er erinnerte sich, er hatte sie gefragt: Was bedeutet es, Schauspielerin zu sein? Und sie hatte geantwortet: »Ich will Ihnen sagen, was es heißt, Schauspielerin zu sein. Ständig Hunger zu empfinden – schrecklichen, unstillbaren Hunger! Er ist so groß, dass niemand ihn stillen kann, egal, wie sehr ich geliebt werde. Die Liebe eines einzigen Mannes wird mir nie genügen. Ich will die Liebe der ganzen Welt – aller Männer, aller Greise, aller Kinder, aller Pferde, Katzen und Hunde, und, was am schwersten ist, die Liebe aller Frauen oder wenigstens der meisten von ihnen. Ich schaue einen Kellner im Restaurant an und lächle ihn so an, dass er mich liebgewinnt. Ich streichle einen Hund und bitte ihn: Liebe mich. Ich komme in einen Saal voller Menschen und denke: Hier bin ich. Liebt mich! Ich bin der unglücklichste und der glücklichste Mensch auf der Welt. Der unglücklichste, weil es unmöglich ist, von allen geliebt zu werden. Und der glücklichste – weil ich in ständiger Erwartung lebe, wie eine Verliebte vor einem Rendezvous. Diese süße Qual, das ist mein Glück …«
    In diesem Augenblick war sie für ihre Verhältnisse grenzenlos aufrichtig gewesen.
    Oder war das ein Monolog aus einem Stück?
     
    Aber die Gefühle waren das eine, die Sache das andere. Die Wirren der Liebe durften die Ermittlungen nicht behindern. Das heißt, sie behinderten sie selbstredend, indem sie die Klarheit der Deduktion immer wieder durcheinanderwirbelten und vernebelten, doch von den kriminalistischen Nachforschungen brachten sie Fandorin nicht ab. Die Viper im Blumenkorb, das war eine eher operettenhafte Bosheit, aber ein vorsätzlicher Mord, das war kein Streich mehr. Die Sorge um die Geliebte und letztlich auch die gesellschaftliche Pflicht verlangten, dass er den niederträchtigen Täter stellte. Die Moskauer Polizei mochte schlussfolgern, was ihr beliebte (vonderen professionellen Qualitäten hatte Erast Petrowitsch keine hohe Meinung), er persönlich war überzeugt, dass Smaragdow vergiftet worden war.
    Das hatte Fandorin gleich am ersten Abend herausgefunden, bei seinem nächtlichen Besuch im Theater. Nicht, dass er den plötzlichen Selbstmord des Schauspielers verdächtig gefunden hätte, ganz und gar nicht. Doch da erneut in Elisas umittelbarer Nähe etwas Unheilvolles und schwer zu Erklärendes geschehen war, musste er sich darum kümmern.
    Und was stellte sich heraus?
    Smaragdow war länger im Theater geblieben, weil er eine Verabredung hatte. Das erstens.
    Er war in bester Stimmung, was seltsam ist für einen Selbstmörder. Das zweitens.
    Drittens. Den Kelch, aus dem Smaragdow laut polizeilicher Ermittlung das Gift freiwillig getrunken hatte, hatte der Ermittler natürlich mitgenommen. Aber auf der polierten Oberfläche des Tisches waren Spuren von
zwei
Kelchen zu erkennen. Also hatte der Schauspieler tatsächlich Besuch gehabt und mit ihm zusammen Wein getrunken.
    Viertens. Nach den Spuren zu urteilen, war der eine Kelch unversehrt, der zweite aber ein wenig undicht; der erste hatte nur Wasserflecke auf dem Tisch hinterlassen, der zweite Weinspuren. Offenkundig waren die Requisiten vor dem Gebrauch mit Wasser gespült und nicht abgetrocknet worden. Und dann war aus dem zweiten ein wenig Wein geronnen.
    Erast Petrowitsch hatte die eingetrockneten Rotweinspuren analysiert. Sie enthielten kein Gift. Also hatte der vermutliche Täter aus dem verschwundenen Kelch getrunken. Das fünftens.
     
    Am nächsten Tag wurde das Bild noch klarer. Am frühen Morgen verschaffte sich Fandorin mit Hilfe des Saaldieners und des probatenMittels der Bestechung Zugang zur

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