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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Menschen verstehen alt zu werden. Erast Petrowitsch hatte geglaubt, zu dieser glücklichen Minderheit zu gehören – und nun stellte sich heraus, dass er sich geirrt hatte.
    Wo war seine vernünftige, würdevolle Ausgeglichenheit geblieben? Wo seid ihr, Ruhe und Willen, Abgeklärtheit und Harmonie?
    Sein eigenes Herz hatte Erast Petrowitsch einen Streich gespielt, mit dem er in keiner Weise gerechnet hatte. Das ganze Leben war wie umgestülpt, sämtliche unerschütterlichen Werte waren zu Staub zerfallen. Er fühlte sich zweimal jünger und dreimal dümmer. Obwohl, Letzteres stimmte nicht ganz. Sein Verstand war vom eingeschlagenen Weg abgekommen, hatte seine Zielstrebigkeit eingebüßt, dabei jedoch seine gewohnte Schärfe bewahrt, so dass er sämtliche Phasen und Wendungen der Krankheit gnadenlos registrierte.
    Dabei war Fandorin nicht sicher, ob das, was ihm widerfuhr, als Krankheit zu betrachten war. Vielleicht war er im Gegenteil wieder gesund?
    Das war eine philosophische Frage, und die Antwort darauf zu finden half ihm der beste aller Philosophen – Kant. Er war von Geburt schwächlich gewesen, kränkelte ständig und litt darunter sehr, bis dem weisen Mann eines Tages ein großartiger Gedanke kam: Seinen kränklichen Zustand als Gesundheit zu betrachten. Unwohlsein ist normal, das ist Leben. Und wenn dir eines Morgensmal nichts weh tut, dann ist das ein Geschenk des Schicksals. Und sofort war das Leben von Freude erleuchtet.
    Genauso verfuhr Fandorin. Er hörte auf, sich zu sträuben, Verstand und Herz gegeneinander abzuwägen. Wenn er nun einmal verliebt war, dann wollte er das als seinen normalen seelischen Zustand betrachten.
    Sofort fühlte er sich besser. Zumindest war die innere Zerrissenheit vorbei. Erast Petrowitsch hatte auch ohne Selbstzerfleischung genug Grund, sich zu quälen.
    Es war wahrlich ein Kreuz, sich in eine Schauspielerin zu verlieben. Dieser Gedanke kam Fandorin hundert Mal am Tag.
    Bei einer Schauspielerin kann man sich in nichts sicher sein. Zudem ist sie jeden Augenblick eine andere. Mal kalt, mal leidenschaftlich, mal falsch, mal aufrichtig, mal schmiegt sie sich an, mal stößt sie dich weg! Die erste Phase ihrer Beziehung, die nur wenige Tage währte, hatte ihn glauben lassen, Elisa sei trotz ihrer schauspielerischen Manieriertheit doch eine ganz normale, lebendige Frau. Aber wie sollte er sich erklären, was in der Swertschkow-Gasse geschehen war? Hatte es ihn wirklich gegeben, diesen Ausbruch alles niederreißender Leidenschaft, oder hatte er das nur geträumt? Konnte es denn sein, dass eine Frau sich in seine Arme warf und dann davonlief – und zwar nicht einfach so, sondern voller Entsetzen, ja, Abscheu? Was hatte er falsch gemacht? Ach, Erast Petrowitsch hätte für eine Antwort auf seine quälenden Fragen viel gegeben. Aber sein Stolz hinderte ihn daran, sie zu fordern. Als kläglicher Bittsteller auftreten, Erklärungen verlangen? Niemals!
    Es war auch so alles klar. Die Frage war rein rhetorisch.
    Elisa war in erster Linie Schauspielerin und erst in zweiter Linie Frau. Eine professionelle Verführerin, die starke Effekte brauchte, Brüche, krankhafte Leidenschaften. Der plötzliche Umschwung in ihrem Verhalten war zwiefacher Natur: Erstens hatte sie Angst vor einer ernsthaften Beziehung und wollte ihre Freiheit nichtverlieren, und zweitens wollte sie ihn auf diese Weise noch mehr an sich fesseln. Derartig paradoxe Bestrebungen waren für eine Frau aus der Zunft der Verstellung ganz natürlich.
    Er war schließlich ein alter Hase, er hatte schon einiges erlebt, auch das ewige Katz-und-Maus-Spiel der Frauen. Und zwar in weit virtuoserer Ausführung. In der Kunst, einen Mann an sich zu binden, konnte eine europäische Schauspielerin in keiner Weise mithalten mit einer erfahrenen japanischen Kurtisane, die das Jojutsu beherrscht, die »Kunst der Leidenschaft«.
    Doch obgleich er das simple Spiel durchschaute, fiel er dennoch darauf herein und litt, litt ganz echt. Selbstermahnungen und Logik halfen da nicht.
    Also redete sich Erast Petrowitsch ein, dass er großes Glück hatte. Es gab die dumme Redewendung »wenn schon jemanden lieben, dann eine Königin«, aber eine Königin, das war gar nichts, das war keine richtige Frau, das war nur ein wandelndes Zeremoniell. Nein, wenn sich verlieben, dann in eine große Schauspielerin.
    Sie verkörperte die nie zu fassende Schönheit des Yugen. Sie war nicht eine Frau, sie war zehn, zwanzig Frauen: Julia und Prinzessin Lointaine,

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