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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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und ihrer Freundin das Bild.
    »Habt ihr dieses Mädchen schon mal hier gesehen? Oder auf einer anderen Party?« Freshie schaut mich an und nimmt mir das Bild aus der Hand. Sie beugt sich vor und betrachtet es im Licht der Innenbeleuchtung ihres Autos genau. Ihre Freundin beugt sich über ihre Schulter. Sie betrachten das Bild etwa fünf Sekunden lang und ich halte den Atem an. Dann richten sie sich wieder auf.
    »Sorry«, sagt Freshie und schüttelt den Kopf. »Hab sie noch nie gesehen.«
    »Ja, sorry«, sagt ihre Freundin achselzuckend. »Aber ihre Haare sind klasse!« Als würde mich das trösten.
    »Danke, dass ihr es angeschaut habt«, sage ich. Amanda drückt meinen Arm.
    »Danke, dass du uns fotografiert hast«, sagt Freshie. Dann schubst sie mit ihrer Hüfte die Autotür zu, und die Mädchen gehen Hand in Hand den Hügel hinunter.
    Wir folgen ihnen schweigend. Unsere Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit. Mein Nacken kribbelt. Ich schaue mich um. Es ist ungeheuer einsam hier.
    »Hey«, sage ich leise. Amanda schaut zu mir rüber, ich sehe ihre Augen im Dunkel aufleuchten.
    »Ja?«
    »Danke, dass du mitgekommen bist.« Sie nickt und hängt sich bei mir ein. Wir laufen weiter, die Party wird mit jedem
Schritt lauter. Ein paar Minuten später umrunden wir eine Ecke, laufen an ein paar Büschen vorbei und sind da.
    Vor uns liegt ein riesiges, auf gruselige Weise wunderschönes Haus aus einer anderen Zeit. Es ist ein Ort, an dem man uniformierte Dienstboten erwarten würde, die lautlos umherhuschen und makellos gekleideten Menschen mit tadellosen Tischmanieren Teekuchen auf teurem Porzellan servieren. Tatsächlich spielt sich hier aber ein futuristischer Kunstkarneval auf LSD ab, mit Halloween-Kostümen und Glitter. Es wimmelt vor Menschen, und ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. In der Mitte des Vorgartens steht ein riesiger Typ mit rasiertem Schädel hinter einem großen Klapptisch, auf dem Kopf ein paar überdimensionierte Kopfhörer. Auf dem Tisch liegen Laptops und andere Soundgeräte, und alle Kabel führen zu einem schwarzen Van, der hinter dem Tisch parkt. Auf dem Dach des Vans befinden sich etliche nach allen Seiten ausgerichtete Boxen, aus denen eine Mischung aus traditioneller indischer Musik und treibenden Elektrobeats schallt. Laut und schnell. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag im Rhythmus der Musik beschleunigt.
    Auf der einen Seite tanzen zig Leute, die als Meeresgeschöpfe verkleidet sind — Meerjungfrauen, Meermänner, riesige glitzernde Seesterne –, unter einem riesigen silbernen Netz.
    Auf der anderen Seite springen sechs Mädchen mit Betty-Page-Frisuren und sexy Matrosenanzügen mit sechs Typen mit alten Motorradhelmen auf einem gigantischen Trampolin.

    Ein Mädchen mit einer langen grünen Perücke läuft auf Stelzen an mir vorbei. Sie hält einen durchsichtigen Plastikschlauch in der Hand, der in einem großen grünen Rucksack mündet. Sie bleibt vor einem süßen Typen im Piratenoutfit stehen und hält ihm den Schlauch übers Gesicht. Er legt gerade noch rechtzeitig den Kopf in den Nacken, macht den Mund auf und schluckt die mit goldenen Sprenkeln gefleckte Flüssigkeit.
    Und ungefähr sieben Meter dahinter kommen zwei Jungs mit nacktem Oberkörper aus der Eingangstür, auf den Schultern eine grünsamtene Couch, auf der zwei juwelengeschmückte Mädchen in Ballkleidern sitzen. Die Jungs setzen die Couch mitten auf dem Rasen ab, und die Mädchen stehen auf, wie zwei Prinzessinnen, die ihre Kutsche verlassen.
    Amanda und ich stehen nur da und starren auf die Szenerie. »Jetzt oder nie«, sage ich. Und wir gehen auf die Tür zu, während die beiden Mädchen in den Ballkleidern zu Kettensägen greifen und anfangen, an der hölzernen Frontseite des Hauses herumzusägen.
     
    Es knallt, ein Krach, dann lauter Jubel. Um mich herum lösen sich kleine Putzteilchen von der Decke und fallen wie Schneeflocken auf den Boden. Die weißen Putzflocken sind überall. Ich spüre sie auf meiner Haut und in meinem Haar. Wenn ich atme, schmecke ich sie.
    Die letzten drei Stunden waren eine Reihe winziger Enttäuschungen. Seit wir hier sind, habe ich genau vierundsechzig Leuten das Foto von Nina gezeigt. Zweiundzwanzig sagten, sie sei hübsch, und neunzehn gefiel ihr Haar, aber
dreiundsechzig der vierundsechzig Leute sagten, sie hätten sie noch nie zuvor gesehen. Und der vierundsechzigste konnte nichts sagen, weil er zu beschäftigt damit war, direkt neben meine Schuhe zu

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