Mount Maroon
Sicherheitsbrillen und so weiter. Er zog einen beschichteten Gürtel mit doppelt gesicherter Einschubfalte aus dem Regal. Mit einer Lederschere durchtrennte er den festen Stoff und schnitt den überschüssigen Teil ab. Nun schob er den schmalen Mikrofiche hinein und verklebte das offene Ende mit einem speziellen Isolierband.
Als nächstes musste er sich um die Technik kümmern. Vom Kontrollraum aus konnte er das ganze Programm zum Betrieb des Tunnels steuern. Er würde keine Zeit haben, den ordnungsgemäßen Ablauf zu überwachen, aber nachdem auch Lemieux seine Sachen gepackt hatte und abgezogen war, würde niemand zu Schaden kommen, selbst wenn irgendetwas schief laufen sollte. Die Abschaltautomatik hatte er unterbrochen, denn Shane wusste, dass er ohnehin nur einen Versuch hatte. Sollte das Bryce-Modul ansprechen, würde Haze die Sicherheitsleute damit beauftragen, das Gebäude zu räumen und die komplette Stromversorgung abstellen. Er beobachtete die Anzeige, die das Hochfahren der Generatoren visualisierte. Alles lief normal, den Rest würde das Programm von allein regeln. Shane hatte noch eine andere Aufgabe.
Sein Weg führte ihn über das Gelände zum Materiallager. Hier konnte man alles bekommen, was an Bekleidung, Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen benötigt wurde und nicht wie die speziellen Schutzanzüge einer besonderen Geheimhaltungsstufe unterlag. Zur Standardausstattung aller Bediensteten des Labs gehörte eine Erkennungsmarke, auf der ähnlich wie bei Armeeangehörigen Namen, Personenkennziffer und die Blutgruppe eingraviert waren. Shane hatte auch eine, sie aber entgegen der Vorschriften niemals getragen. Als er um die Ecke zum Ausgabeschalter rollte, begrüßte ihn Elsa.
- „Mr. Shane, das tut mir alles so leid. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass das Labor geschlossen wird.“
Shane schaute sie aus den Augenwinkeln heraus an. Den Kopf drehte er nicht in ihre Richtung. Ihm war nicht nach Konversation.
- „Ich habe nicht viel Zeit, Mrs. Preston. Würden Sie mir den Karton mit den Blankomarken holen und ihn neben die Gravurfräse stellen. Ich möchte mir noch ein Andenken anfertigen.“
Die gute Elsa war sentimental genug, dem Anliegen des alten Mannes keinen Argwohn entgegenzubringen. Sie schien zu schluchzen, ging dann aber raschen Schrittes zu einem Regal im hinteren Bereich des Magazins. Robert Shane rollte in den Werkraum, der mit Ständerbohrmaschinen, Schraubstöcken, Stanzen und Fräsen ausgestattet war. Er platzierte den Rollstuhl vor dem Gravurautomaten.
- „Ich lege Ihnen das Plättchen schon ein, Mr. Shane. Was wollen Sie denn schreiben?“
Mrs. Preston war mit einem derart überschwänglichen Interesse an den Angelegenheiten ihrer Mitmenschen ausgestattet, dass es der Sache nicht wirklich gerecht würde, lediglich von Neugier zu sprechen.
- „Es ist etwas Persönliches. Würden Sie bitte den Raum verlassen und die Türe hinter sich schließen. Vielen Dank.“
Mrs. Preston machte auf dem Absatz kehrt. Die harsche Abfuhr allein würde sich in den Gesprächen mit ihren Freundinnen vortrefflich ausschlachten lassen. Mr. Shane dachte darüber nicht weiter nach. Er gab den Text ein, der auf der Marke erscheinen sollte, wählte die Schriftgröße und startete den Vorgang. Danach drehte er das Metallplättchen um. Auf der Rückseite würde in großen Buchstaben nur ein einziges Wort stehen: Bruce.
- „Da ist die Bezeichnung „Hundemarke“ endlich einmal gerechtfertigt.“
Er steckte das vollständig beschriftete Schildchen in seine Tasche. Dann holte er den Hund.
Die Energieleistung war jetzt ebenso hoch wie an jenem Tag, an dem sie Alan Mason auf seine ungewisse Reise geschickt hatten. In weniger als einer halben Stunde würde sie ihren Höhepunkt erreichen. Robert Shane musste sich sputen, wollte er mit dem Hund noch rechtzeitig die kritische Stelle erreichen. Er band Bruces lange Leine an den Haltegriff oberhalb der Rückenlehne und betätigte die Steuerung des elektrischen Rollstuhls. Der Hund sah ihn verständnislos an, ein trauriger Hundeblick, ein Vorhof des Abschieds. Ahnte er, dass sie sich für immer trennen mussten? Shane empfand vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie eine vorweggenommene Trauer, eine Vorstellung von dem, was sein würde, wenn etwas nicht mehr wäre. Ab einem gewissen Alter waren Kinder dazu in der Lage, sich vorzustellen, wie es sein konnte, wenn die eigenen Eltern starben, auch ohne dass diese aktuell vom Ableben bedroht
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