Mount Maroon
Meriwether Lewis, eines William Clark, aber auch eines George Catlin oder Henry David Thoreau spüren. Die beiden waren am frühen Morgen des 11. Juli, ihres dritten Wandertages, in der Nähe der Palmer Chapel im Cataloochee Valley aufgebrochen und über den Heintooga Loop sowie einen alten Indianerpfad zum Raven Fork River gelangt, von wo aus sie sich nach Westen zum Mount Maroon wandten, ihrem heutigen Etappenziel.
Der Mount Maroon ist eigentlich gar kein richtiger Berg, vielmehr handelt es sich um ein lang gezogenes, zerklüftetes Hochplateau. Die Freunde hatten sich gewundert, ihn auf der Karte als Berg bezeichnet zu finden, und waren daher eher zufällig auf diese Laune der Natur gestoßen, die sich jetzt als höchst imposante Formation entpuppte. Gewohnheitsmäßig hatten sie nach einem Wandergebiet Ausschau gehalten, das möglichst weit abseits von Ortschaften und größeren Straßen lag. Es war nicht ihre Art, sich auf die in der einschlägigen Literatur ausgewiesenen touristischen Highlights zu stürzen. Sie suchten die intensive Verbundenheit mit der Landschaft, was ihrer Meinung nach auch eine gewisse Abgeschiedenheit beinhaltete. So mieden sie Gasthöfe und Restaurants ebenso wie Hotels und Campingplätze. Was sie für die Zeit ihrer Wanderung benötigten, hatten sie dabei und biwakierten in aller Bescheidenheit an den exklusivsten Logenplätzen der Natur. Der Mount Maroon war so ein Logenplatz; neben Tausenden der namensgebenden Kastanien befanden sich hier viele weit über mannshohe Felsen, die vor Urzeiten, als die Erde noch unruhig war, vermutlich Hunderte Meter hoch in die Luft geschleudert worden waren, um bei ihrem Aufprall tief in den Boden einzuschlagen. Eine andere Erklärung für die eigentümliche Form der Steinkolosse war, dass das sie umgebende Erdreich mit der Zeit ausgespült worden war und sie den Beweis für eine ursprünglich viel größere Höhe des Geländes gewissermaßen aufrechterhielten. Jedenfalls steckten sie in derart bizarren Ausrichtungen in der Erde, dass man ständig das Gefühl hatte, sie müssten zur Seite kippen. Hier und da war die Szenerie in der Weise auf die Spitze getrieben, dass ein riesiger Steinbrocken auf einem anderen wesentlich kleineren auflag. Es sah so aus, als wäre ein gigantischer steinerner Pilz aus dem Boden geschossen. An einer anderen Stelle entdeckten die Freunde gar eine Steinplatte, die, um einem müden Riesen eine Sitzgelegenheit zu verschaffen, auf zwei länglichen Felsen ruhte. Vom Rande des Plateaus hatte man eine hervorragende Aussicht auf das umliegende Gelände, welches zum größten Teil aus bewaldeten Hügeln bestand, ein unruhiges, wild aufgepeitschtes, dunkelgrünes Meer, das in seiner Bewegung innehielt, als wolle es ein Zeichen setzen gegen die permanente Rastlosigkeit des Zeitstroms. Andere Fantasten sahen von diesem Punkt aus vielleicht eine flauschige Decke, die eine quirlig nervöse Welt wohlig und warm einhüllte und die alltägliche Hektik erstickte. Einzig eine kleine Rangerstation mit einem gedrungenen hölzernen Dach und einem Feuerturm wagte sich, im rechtschaffenen Bewusstsein, das sie Umgebende zu bewahren statt zu stören, an die ansonsten makellose Oberfläche. Vögel waren zu hören, die Geräusche des Waldes, die die Stille eher betonten, als deren völlige Entfaltung zu hemmen. Peter und Luther mussten sich erst darauf einlassen, denn weder in der Hauptstadt Marylands noch in der Südstaaten-Metropole gab es echte Stille.
Das Wetter war so prächtig, wie es der Bericht vorhergesagt hatte, und auch der Abend war wie gemalt für große Jungs mit einem Sinn für Lagerfeuerromantik. Wie immer blieben die Alltagssorgen und aktuellen Probleme auf dem Weg der ersten beiden Wandertage zurück, und wie immer schwelgten sie danach in Jugenderinnerungen. Peter und Luther kannten sich nicht erst seit dem Studium, als sie regelmäßig zu wandern begannen. Sie waren zusammen aufgewachsen. Sie wohnten in derselben Straße, gingen auf dieselbe Schule und eine Zeit lang schliefen sie sogar, ohne es zu wissen, mit demselben Mädchen. Eine Geschichte, die auch an diesem Abend wieder erzählt wurde. Bei allen galt das Gespann als Tom Sawyer und Huckleberry Finn, spätestens, nachdem Peters Eltern tödlich verunglückt waren und er bei seiner Tante Mary aufwuchs, die von den Jungen fortan Polly genannt wurde. Sie bauten Hütten, angelten und trieben sich nächtelang herum. Einmal waren sie sogar für mehrere Tage verschwunden, wollten
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