Mozart - Sein Leben und Schaffen
sich komponiert, sondern die aufgeschlagene Buchseite als den Raum ansieht, den er künstlerisch zu gestalten hat. Für diese Buchillustration – Walter Crane hat uns am stärksten in diese Auffassung eingeführt – wird auch die Buchstabentype ein Teil des Gesamtbildes. Die Art der Illustration geht hier von der einfachsten Linienumrahmung bis zum Vollbilde, je nach Art und Gelegenheit, die der Künstler findet. Auf diese Weise entsteht eine Kunstart, die »angewandte« Kunst bleibt, aber innerhalb dieses Dienens für einen Zweck reichliche Gelegenheit zur Betätigung der eigenen Phantasiekraft gibt und außerdem mit dem von der anderen Kunst Geleisteten zu einem Gesamteindrucke sich verbindet.
Ich sehe etwas Ähnliches im Melodrama und erkläre mir daraus die oben angeführten Tatsachen. Das Melodrama ist ein Stück angewandter Kunst. Es ist weniger Selbstzweck, als daß es einem anderen Zweck dient. Und zwar ist dieser Zweck nicht, wie man zunächst annehmen möchte, die Dichtung, sondern die Deklamation . Auch die Mimik ist eine große Kunst, die zu einem erstklassigen Werte werden kann. Die schauspielerische Leistung an sich kann zu einer Kunstoffenbarung werden, auch wenn das Drama, in dem der Schauspieler auftritt, nicht den höchsten dichterischen Anforderungen entspricht. Es ist aber unleugbar, daß diese schauspielerische Leistung als solche durch ihre in sich beruhende Vollkommenheit höchsten Genuß vermitteln kann. Wie wir also bei der Illustration als künstlerisches Endergebnis das als Kunstwerk wirkende Buch erhalten, so hier eine schauspielerische Glanzleistung . Wir haben, wenn wir die zeitgenössischen Zeugnisse über den Eindruck nachprüfen, den ihnen die Melodramen – vor allem jene Bendas – machten, fast immer den Fall, daß die betreffenden Beurteiler sich über die ästhetischen Schwächen der Gattung klar sind, aber alle Bedenken zurücktreten lassen, aus Dank für den hohen künstlerischen Genuß, den ihnen ein großer Darsteller durch das Vorleben eines solchen Melodramas verschaffte.
Es ist ganz klar, daß nach dieser Richtung hin das heutigeMelodrama eine Abschwächung bedeutet, weil es auf die Schauspielleistung verzichtet und nur den Deklamator aufruft. Da wird allerdings dann vor allen Dingen der Zwiespalt zwischen dem ruhig dastehenden Sprecher und der reich entfalteten Instrumentalmusik immer klaffender. Wenn dagegen zu dieser Musik die mimische Leistung kommt, ist das Verhältnis ein ganz besonderes. Die Musik ist dann nicht mehr lediglich Unterbrechung einer Deklamation, sondern höchster Ausdruck der Mimik, und mit dieser verbindet sich doch Musik aufs innigste. Es bleibt zuzugeben, daß das bloß gesprochene Wort sich mit der Musik niemals organisch verbinden kann. Aber wir begreifen jetzt doch das hohe Gefallen, das das Melodrama zu einer Zeit auszulösen vermochte, als das wahre Musikdrama noch nicht gefunden war. Denn das wird man doch nicht leugnen können, zumal es die geschichtlichen Tatsachen auf jeder Seite beweisen, daß in diesem Gesamtorganismus der Oper vom dramatischen Standpunkte aus die Vorführung rein musikalischer Formen wie Koloraturen und Arien ebenso unwahr und unorganisch, weil der inneren Wahrheit widersprechend, wirken können wie das gesprochene Wort. Der Begründer der Gattung ist Jean Jacques Rousseau , der ja nicht nur als Dichter und Philosoph, sondern auch als Musikästhetiker hervorragte und auch für Komposition bedeutende Veranlagung besaß. Er hatte dem in Frankreich längst tobenden Streit um die Vorzüge der italienischen und französischen Oper (vgl. das vorangehende Kapitel) die Spitze gegeben durch seinen 1753 erschienenen »Brief über die französische Musik«, in dem er behauptet hatte, daß die französische Sprache zur Vertonung ungeeignet, daß italienisch die einzige Musiksprache sei. Immerhin kannte Rousseau den französischen Nationalstolz und andererseits doch auch wohl das Recht jeder Nation auf eine ihr eigene Kunst zu genau, um nicht auf einen Ausweg zu sinnen, auf dem man zu einem dem französischen Wesen zusagenden Kunstwerk gelangen könne, in dem Sprache und Musik vereinigt waren. Er fand ihn dadurch, daß er an die Stelle des Miteinanders von Sprache und Musik das Nacheinander setzte. Er ging von der Tatsache aus, daß gerade in der dramatischen Leidenschaftlichkeitder Schauspieler nicht alles sagen könne, daß er vieles durch Gebärden ausdrücken müsse, ja geradezu zu Pausen verurteilt sei, in denen sich bei
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