Mozart - Sein Leben und Schaffen
Seinerseits sann er nun darauf, wie er den Widerstreit lösen sollte, der zwischen dem Verlangen der Musik als einer das ganze Werk umfassenden Geschlossenheit und der Unmöglichkeit, durchaus unmusikalische Teile der betreffenden Dichtung wirklich wahrhaft zu vertonen, überwinden konnte.
So scheint mir diese Übernahme des Melodramas in die Oper keineswegs so undankbar zu sein, wie sie den meisten Ästhetikern vorkommt. Beim Melodrama in der Kerkerszene von Beethovens »Fidelio« habe ich das Gefühl, daß die Beklommenheit im Empfinden Leonores und die handwerksmäßige Gelassenheit Roccos sich weder rezitativisch noch durch Gesang so ergreifend hätten ausdrücken lassen wie in dieser melodramatischen Behandlung. Und noch lehrreicher scheint mir nach der Richtung das Melodrama im zweiten Akte von Marschners »Hans Helling« zu sein. Hier haben wir von vornherein die sinfonische Schilderung der wilden Sturmnacht im Orchester, die durchgeführt ist; dazu mit außerordentlicher Wahrheitskraft das Vor-sich-Hinsprechen der verängstigten Mutter. Ebenso wahr ist es, daß in dieser Gemütserregung sich ihr eine Melodie einstellt, die sie zunächst wortlos vor sich hinsummt, bis dann endlich in der höchsten Spannung das Lied als auslösende Kraft eintritt. Diese drei verschiedenen Stadien in der Mitteilungsform derselben Person schließen sich logisch zusammen und verwachsen mit der ebenso wahrhaft durchgeführten Orchestermusik zu echt dramatischer Einheit. Wir haben eine ähnliche Szene in Goethes »Faust«, wo sich auch bei Gretchen aus dem durch die Begegnung mit Faust aufgeregten und verwirrten Gemütszustande das »Lied vom König in Thule« einstellt.
Daß Mozart später diese Art aufgegeben hat, braucht keineswegs auf eine Erkenntnis von der Minderwertigkeit dieser Gattung zurückzugehen, sondern wird eher den mehr äußeren Grund haben, daß die Art der ihm gestellten Aufgaben ihn nicht zu dieser Behandlungsweise anreizte. Ich stimme Otto Jahn gern darin bei, daß das Melodrama nicht ein »organisierendes Prinzip« für die Opersein kann; aber bei Mozart ist im Gegensatz zu den alten Florentinern oder zu Gluck auch das Rezitativ nicht das organisierende Prinzip, sondern nur Verbindung der rein musikalischen Höhepunkte der Oper, weshalb er sogar in der »Zauberflöte« mit dem gesprochenen Dialog auskam. Andererseits darf man nun das, was Mozart bei der Übernahme des Melodramas in die Oper vorschwebte, nicht nach dem einen Versuch beurteilen, der uns in einem Werke vorliegt, an dem er sicher überhaupt nicht mit voller Lust gearbeitet hat. Denn daß er bei der zweiaktigen Oper »Zaide« nicht mit ganzem Herzen dabei war, geht aus der Tatsache, daß er sie nicht vollendete, ebenso hervor wie aus der Leichtigkeit, mit der er später ihre Musik preisgab. Das Buch, das ihm der als Mensch gewiß vortreffliche Schachtner geschaffen hatte, ist nach Inhalt und Form ein ganz trauriges Machwerk, dessen hahnebüchener Charakteristik gegenüber sich Mozart zumeist mit einer auch mehr äußerlich korrekten Formgebung geholfen hat. Man denkt da an Wagners Wort, daß ihn beim Dramatiker Mozart nichts so sehr erfreue, als daß er zum »Titus« nicht eine ebenso schöne Musik habe schaffen können, wie zur »Zauberflöte«. Aber immerhin, gerade für die Verwendung des Melodramas, wie sie ihm vorschwebte, ist sehr bezeichnend, wie er die zahlreichen eingeschobenen Musikteilchen durch die rhythmische Zusammenstellung und harmonische Fortschreitung zu einem Ganzen zu vereinigen strebte.
In wertvolleren Früchten zeigt sich die Einwirkung des Melodramas in einer anderen dramatischen Arbeit, die Wolfgang schon 1773 begonnen hatte, jetzt aber wieder aufnahm und zu Ende führte, in den Zwischenakten zu dem heroischen Drama »Thamos, König in Ägypten« von Freiherrn Tob. Phl. v. Sebler . Wahrscheinlich hat Mozart diese Arbeit für die Wandertruppe des damals in Salzburg tätigen Schikaneder, mit dem er später in so enge Verbindung geraten sollte, geschaffen. Er hat zu dem Drama fünf Instrumentalsätze geschrieben, von denen vier zwischen die verschiedenen Aufzüge gehören, während der letzte das Stück beschließt. Diese Zwischensätze schließen sich immer an die Schlußszene des gespielten Aktes an und versuchen die darin maßgebenden Empfindungen musikalischauszudrücken. Die Originalpartitur zeigt, von des Vaters Hand geschrieben, Mozarts Absichten in Worte gefaßt, z. V.: »Der erste Aufzug schließt mit dem gewonnenen
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