Mozart - Sein Leben und Schaffen
der biographischen Erzählung angeführten Briefstellen ersehen, wie sehr Mozart von den Melodramen Bendas gepackt worden war, während er Rousseaus »Pygmalion« in Paris nicht gehört zu haben scheint. Das wäre dann wahrscheinlich auf den Einfluß Grimms zurückzuführen, der ein Feind Rousseaus war. Leider ist das Melodrama »Semiramis« , das Mozart nach Gemmingens Dichtung geschaffen hat, »bis auf einige Stimmen der Ouvertüre verloren gegangen« (Nottebohm). Wir wissen auch nichts Näheres von der Art dieses Werkes, als daß Mozarts Witwe 1799 an Breitkopf & Härtel von einem Werke schreibt, das ihr bisher unbekannt gewesen sei. »Stadler – (ein musikalischer Freund Mozarts, selber fruchtbarer Kirchenkomponist und bedeutsam hervorgetreten im Streit um die Echtheit des Mozartschen Requiems. D. V.) – fand alles so vortrefflich, daß er mir abriet, einzelne Stücke herzugeben. Es ist eine Oper und ein Melodrama, beides zugleich .« Aus dieser Schlußbemerkung könnte man schließen, daß Mozart vielleicht einzelne Stücke der Dichtung für Gesang komponiert habe. Man kann sich nur schwer vorstellen, daß, wenn wirklich ganz lyrische Stellen in der Dichtung enthalten waren, Mozart der gesanglichen Vertonung derselben sollte widerstanden haben. Jedenfalls wäre diese Art der Entwicklung des Melodramas dann das logische Seitenstück zu der Verwendung desselben, die ihm als besonders fruchtbar vorschwebte, wenn er meinte, »man sollte die meisten Rezitative auf solche Art in der Opera traktieren«. Man nehme dazu gleich die Fortsetzung des Satzes: »Und nur bisweilen, wenn die Wörter gut in der Musik auszudrücken sind, das Rezitativ singen.«
Es offenbart sich an dieser Stelle deutlich jene Einstellung Mozarts gegenüber dem Textworte, die auch sehr stark aus den Verhandlungen hervorgeht, die er z. B. beim »Idomeneo« mit seinem Textdichter gepflogen hat. Es störte ihn das an sich unmusikalische Wort sogar schon, wenn es technisch schlecht zu singen war. Noch mehraber widerstrebte es ihm, innerlich unmusikalische Worte und Sätze singen zu lassen. Andererseits mochte er auch am nur gesprochenen Dialog Anstoß nehmen. Es sind da gerade in dieser Zeit nach dem Pariser Aufenthalte, wo er so vielerlei Anregungen in musikdramatischer Hinsicht empfangen hatte, allerlei Ansätze in Mozarts dramatischem Wollen zu bemerken, die später keine Fortführung gefunden haben. Er war eben eine ganz andere Natur als etwa Gluck: nicht zur Überlegung über Kunstdinge angetan, sondern von einem wunderbaren Instinkte geleitet. Aber es ist selbstverständlich, daß das Nebeneinander des ausdrucksvollen Gluckschen Rezitativs, des gerade in der französischen Nationaloper so durchaus trockene Deklamation verbliebenen Seccorezitativs und des gesprochenen Dialogs (bei Gretry) ihn zum Nachdenken reizen mußte. Gegen das Seccorezitativ hatte er die ausgesprochene Abneigung des überreichen Musikers, dem eine solche Fülle von Melodik ununterbrochen zuströmte, daß ihn diese an sich doch unmusikalische Deklamation nicht befriedigen konnte. Auf der anderen Seite empfand er zu wahr, um Unmusikalisches in ein reicheres musikalisches Gewand einzuzwängen. Der nur gesprochene Dialog aber zerreißt so sehr die ganze musikalische Anlage, wirkt in dem schroffen Aufeinander von gewöhnlicher Rede und hoch entwickelten Musikformen so uneinheitlich, daß wir es leicht begreifen können, wenn er nun im Melodrama einen Ausweg sah. Wir wollen bedenken, daß es sich hier um das Bendasche Melodrama handelt, bei dem bereits die Musik durchgeführt war. Mozart mochte hier ein Mittel sehen, durch Ausnutzung des im Untergrund des Empfindens oder in den Erscheinungen der Welt liegenden Musikalischen eine ununterbrochene Musiklinie schaffen zu können, aus der bei reicherer musikalischer Wortaussprache das begleitete Rezitativ erwuchs, während als höchste Steigerung die großen musikalischen Formen sich entfalten konnten. Es sind hier Keime vorhanden, die bei vollem Ausreifen etwas dem Musikdrama Verwandtes ergeben konnten. Um dieses letztere als vollauf gerechtfertigte Form erstehen zu lassen, bedurfte es der Dichtermusiker-Natur Wagners, die vermöge ihrer Anlage einen Stoff ergriff, der überall musikalisch war. Mozart lebte lange vor dieser Zeit, in Jahren, wo die deutschedramatische Dichtung doch überhaupt erst langsam ihre Entwickelung begann. So mochte er die Art der Operntextdichtung, wie sie nun einmal vorhanden war, als unumgänglich ansehen.
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