Mozart - Sein Leben und Schaffen
völligem Schweigen innerlich die wichtigsten seelischen Entwicklungen vollziehen. Hier sollte nun nach seiner Meinung die Musik einsetzen. Wie in einer echt dramatischen Oper die Musik niemals etwas ausdrücken dürfe, was nicht aus der Seele der betreffenden Person herausflösse, so bleibe ihr auch dann eine große Aufgabe zu erfüllen, wenn diese Person nicht singe, sondern spreche. Rousseau dichtete aus dieser Überzeugung heraus 1762 seine lyrische Szene »Pygmalion« , die mit einer von ihm vielfach beeinflußten Musik Coignets 1770 in einem Lyoner Privatkreise und 1775 in Paris öffentlich aufgeführt wurde. Sie fand großen Beifall und viele Nachahmung. Es ist Edgar Istel in seiner Studie »Rousseau als Komponist seiner lyrischen Szene Pygmalion« (Leipzig 1901) gelungen, nachzuweisen, daß auch Rousseau selbst eine Musik zu seiner Dichtung geschaffen hat.
Für uns ist hier wichtig, daß Rousseau die Gleichzeitigkeit von Sprache und Musik im Melodrama aufs stärkste verurteilte; daß er selber die Musik nur in den Pausen der Rede eintreten ließ, wo sie die Pantomimik des Schauspielers unterstützen und das von der Dichtung als eine Reihe von Zuständen vorgeführte seelische Erlebnis zu einer einheitlichen Entwicklung zusammenschließen sollte. So zeigt sein Melodrama nur eine größere Zahl von verhältnismäßig umfangreichen instrumentalen Zwischensätzen, und Rousseau sah es als ein Mittelding zwischen der gewöhnlichen Wortdeklamation und der echten Oper an, als einen Notbehelf, zu dem die nach seinem Vorurteil »unmusikalische« französische Sprache zwang. Er selbst ist später, um das hier einzufügen, durch Gluck überzeugt worden, daß auch die französische Sprache sich echter musikdramatischer Musikbehandlung füge.
Ist so von Rousseau der erste Anstoß zum Melodrama ausgegangen, so vollzog sich dessen charakteristische Entwicklung in Deutschland. Hierher war bereits 1771 Rousseaus Dichtung gelangt. Ob mit Coignets Musik, bleibt gleichgültig, da man sich um diese nicht kümmerte, sondern für die Aufführungen in Wien (Februar 1772)eine Musik von Apselmayr , in Weimar (Mai 1772) eine solche von dem bekannten Opernkomponisten Anton Schweitzer neu schreiben ließ. Beide Vertonungen sind verloren gegangen, so daß wir über die Art derselben gar nichts wissen. Die nächsten Schritte geschahen von Schauspielern , die erkannten, daß derartige melodramatische Stoffe ihnen Gelegenheit zu einer sonst in solcher Zusammengedrängtheit nie gebotenen Entfaltung des gesamten Registers ihrer deklamatorischen und pantomimischen Fähigkeiten boten. In dieser Absicht schuf I. I. Ch. Brandes für seine Frau, die glänzende Schauspielerin Esther Charlotte, geborene Koch, eine Szene »Ariadne« , um deren Komposition er den oben genannten Schweitzer anging. Der hatte sich an die Arbeit gemacht, wurde aber vom Weimarer Hofe mit der Komposition der eben erschienenen Wielandschen »Alceste« beauftragt, für die er nun die Musik der »Ariadne«, soweit sie vollendet war, verwendete, während er diese Szene ganz fallen ließ. Die Bewegung war so ins Stocken geraten. Da mußte 1774 die Weimarer Schauspielertruppe wegen des Theaterbrandes nach Gotha übersiedeln, dessen Theaterkapellmeister Georg Venda (1722–1795) durch die Dichtung von Brandes so gepackt wurde, daß er sie sofort komponierte. So ging am 27. Januar 1775 »Ariadne« am Gothaer Theater mit Frau Brandes und der Musik von Georg Venda zum erstenmal in Szene. Ein Vierteljahr später folgte desselben Komponisten »Medea«, die er für die bedeutende Rivalin der Brandes, die berühmte Heroine Sophie Seyler, geschrieben hatte. Benda, ein Musiker von ganz hervorragender Erfindungskraft und schärfstem dramatischen Charakterisierungsvermögen, ist der Begründer des Melodramas in unserem Sinne.
Wir brauchen hier die Weiterentwicklung des Melodramas nicht zu verfolgen. Die Werke Bendas machten einen ungeheuren Eindruck, dem sich trotz aller ästhetischen Bedenken in den nächsten Jahren alle Welt beugte. Und wenn die Gattung auch bald an Bedeutung für das Musikleben einbüßte, so ist sie doch von dieser Zeit ab niemals ganz aufgegeben worden. Man hat das Melodrama aber nicht nur als selbständige Form aufgegriffen, sondern es auch in die Operhinüberzunehmen versucht. In der Hinsicht spielt es in Beethovens »Fidelio«, in Marschners »Hans Heiling« eine bedeutende Rolle. An diese Art der Verwendung hat vor allem auch Mozart gedacht.
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