Mozarts letzte Arie
Bildung ist lückenhaft, mein Herr.»
«Wenn ich jeden Tag in Ihrer Kaiserlichen Bibliothek grübeln könnte, würde ich diese Lücken füllen. Doch leider sind meine Pflichten eher praktischer Natur.»
Swieten straffte das Kinn, schwieg jedoch.
Der Neuankömmling öffnete eine goldene Dose, streute sich eine Prise Schnupftabak in die Daumenbeuge und zogihn durch beide Nasenlöcher hoch. «Ich bekam zufällig mit, wie der Prinz Mozart als einen Engel bezeichnete. Vielleicht ist unser verstorbener Maestro in der Tat ein Mythos geworden. Schließlich weilt er nun in Regionen, die jenseits menschlicher Macht liegen.» Er senkte die Stimme. «Selbst wenn niemand unter
uns
dieser bislang entkommen konnte.»
Lichnowsky trat einen Schritt zurück. In seinen Augen lag Angst. «Ein Engel? Das war nur so eine Redensart. Ich …»
«Heutzutage wird zu viel geredet ohne nachzudenken, und zu wenig auf die Dinge, wie sie nun einmal sind, Rücksicht genommen.» Der Herr verbeugte sich vor mir. «Madame de Mozart.»
Sein Betragen machte mich aggressiv und zugleich pedantisch. «Ich muss Sie korrigieren, mein Herr. Ich bin, um genau zu sein, Madame Berchtold von Sonnenberg», sagte ich.
«Oh ja, dessen bin ich mir bewusst.» Seine Miene war andächtig und unbekümmert wie die eines Priesters angesichts eines vor ihm knienden Sünders, geschmeichelt von dem Wissen, dass es vor ihm keine Geheimnisse geben konnte.
Unter diesem Blick empfand ich einen Anflug von Unbehagen, als hätte ich meinen Mann, indem ich seinen Namen erwähnte, in eine Verschwörung hineingezogen, die mir noch gar nicht bekannt war.
Swieten verzog das Gesicht. «Madame de Mozart, darf ich Ihnen den Graf von Pergen vorstellen, unseren Kaiserlichen Polizeiminister.»
Ich knickste.
«Ich habe Sie gar nicht für einen Musikliebhaber gehalten, mein Herr», sagte Swieten.
Pergen spielte wieder mit der Locke an seiner Perücke. «Ich bin ein großer Verehrer von Maestro Salieri, sogar wenn der Hofkomponist die Musik eines anderen dirigiert. Ich muss Sie, Herr Stadler, für die Auswahl der Musik loben.»
Stadler stand stramm wie ein schuldbewusster Schüler vor einem strengen Schulmeister. «Danke, Euer Gnaden.»
«Sie haben keine von Maestro Mozarts eher taktlosen Kompositionen aufgenommen.»
«Taktlos?», sagte ich.
«Der Graf meint
Die Hochzeit des Figaro»,
sagte Swieten. «Vermutlich lehnt er die Oper ab, weil sie einen Diener zeigt, der über seinen Herrn triumphiert.»
«Zweifellos hat sich Ihr Bruder von dem italienischen Schurken, der den Text dieser Oper geschrieben hat, hinters Licht führen lassen», sagte Pergen. «Noch dazu ein Jude.»
«Ein christlicher Konvertit», sagte Swieten.
«Ich fürchte, dass die Konversion nie ernst gemeint war. Aber der Bursche ist tot. Wollen wir hoffen, dass wir von diesem umstürzlerischen Werk nie wieder etwas hören müssen.»
Nun war es an mir, taktlos zu werden. «Ich halte
Figaro
für eine ausgezeichnete Oper.»
Pergen schnaubte ein leises, verächtliches Lachen. «Liebe Dame, wenn ein Gift widerlich schmecken würde, wäre es harmlos – niemand würde es schlucken. Der Giftmischer verleiht ihm den Geschmack von Früchten oder Zucker, um uns ins Verderben zu stürzen. Die herrliche Musik Ihres Bruders war die Verführung, und
Figaros
empörende Philosophie war das Gift. Man könnte beispielsweise das Gleiche von der Freimaurerei sagen.» Er warf einen Blick in unsere Runde.
Lichnowsky und Stadler senkten die Augen. Swieten seufzte.
«Mit Versprechungen von Gleichheit und anderen schönen Ideen werden junge Männer in die Freimaurerei gelockt», sagte Pergen. «Aber erst, nachdem sie vor den Brüdern ihren heiligen Eid geschworen haben, erfahren sie, dass sie ein Programm erfüllen müssen, das unseren Staat untergräbt.»
Ich dachte an Wolfgangs Brief. «Können die Freimaurer denn wirklich so gefährlich werden?»
«Die Revolution in Amerika wurde von einer freimaurerischen Verschwörung angeführt. Haben Sie schon einmal die Namen Washington, Jefferson, Franklin gehört? Allesamt entschlossen, die natürliche Ordnung von Regierung und Monarchie zu stürzen. Allesamt Freimaurer. Seine Heiligkeit, der Papst, hat sie verdammt.»
«Aber Wolfgang war lediglich …»
Pergen zog eine Augenbraue hoch. «Fahren Sie fort.»
«Lediglich ein Musiker.» Ich fühlte mich schwach vor ihm. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wolfgang in subversive Umtriebe verstrickt war.»
«Maestro Mozart hatte vor
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