Mozarts letzte Arie
Doch in der Trauer seiner Freunde verbargen sich Selbstmitleid und Schrecken. Es war, als rechneten sie damit, dass ihnen etwas ebenso Schreckliches zustoßen könnte. Ich hatte mir vorgenommen, am nächsten Morgen Wolfgangs Grab zu besuchen, doch die Gespräche in der Konzerthalle führten dazu, dass ich einstweilen davon absah. Bevor ich ihm meine letzten Grüße übermittelte, musste ich Gewissheit haben, was ihm zugestoßen war. In unserem Leben waren wir wechselseitig verstummt. An seinem Grab wollte ich nicht, dass es noch Geheimnisse zwischen uns gab.
Constanze starrte in die dunklen Seitenstraßen, als wir von der Akademie zurückfuhren. Die Verdächtigungen des Polizeiministers hatten die arme Frau aus der Fassung gebracht. Ich behielt meine Begeisterung über unsere Auftritte für mich. Zum Feiern war dies nicht der richtige Moment.
Dennoch war meine Freude über die Musik, die ich an diesem Abend gespielt hatte, stärker als Pergens Einschüchterungen. Ich war glücklich, Wolfgangs Kompositionen vor einem so ausgesuchten Publikum zu Gehör gebracht und die Anwesenheit des Bruders, den ich verloren zu haben glaubte, gespürt zu haben.
Ich wünschte Constanze Gute Nacht und sah ihrer Kutsche nach, die zur Kärntner Straße rasselte. Ich atmete tief die Stille ein, die auf dem Mehlmarkt herrschte, und setzte mich auf den Beckenrand des Brunnens der Vorsehung. Ich hielt die Fingerspitzen ins eiskalte Wasser am Fuß der Göttin, summte die Melodie von Wolfgangs Konzert und machte mir Gedanken über das Privatleben des Barons van Swieten.
10
Das Morgenlicht funkelte auf dem alten gewölbten Glas der Fenster und schien durch einen Spalt des Bettvorhangs. Der Sonnenschein war silbern, wie das klare Licht, das ein Heiliger in einer Vision ausstrahlt. Silbern wie der Rock des Barons van Swieten. Ich reckte die Arme über den Kopf und zog die schweren Winterdecken weg. Die Freude über meinen Auftritt in der Akademie wärmte mich immer noch.
Lenerl band den Vorhang am Bettpfosten fest und knickste. «Guten Morgen, Madame.»
Ich setzte mich aufrecht und zog unter dem Nachthemd die Knie an die Brust. «Morgen, meine Liebe.»
«Ich muss schon sagen, Sie waren sehr aufgeregt, als Sie gestern Abend zurückkamen. Das Konzert muss wundervoll gewesen sein.»
«Es war ein Abend, von dem ich lange geträumt habe. Ich glaube, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass ich so etwas noch einmal erleben würde.»
Das Mädchen grinste und hielt mir den Morgenrock hin. «Sie haben keinen einzigen Satz mehr zustande gebracht. Sie sind wie im Traum ins Bett getanzt.»
Ich schlüpfte in meine Pantoffeln, und sie half mir in den Morgenrock.
Lenerl schenkte mir heiße Schokolade vom Frühstückstablett auf der Kommode ein. Es schmeckte mir so gut, dass ich wohlig erschauerte. «Ich werde heute noch einmal auftreten, Lenerl», sagte ich. «Vor der Kavaliersgesellschaft.»
«Das sind bestimmt sehr feine Herren, Madame. Sie kommen in Wien ja richtig rum.»
In der Stimme des Mädchens hörte ich eine Spur Missbilligung. Sie war einfach und fromm, und sie erwartete wohl von mir, dass ich die Woche auf Knien vor Wolfgangs Grab verbrächte. Aber ich hatte keine Lust, sie zurechtzuweisen. «Ich habe hier viel zu erledigen», sagte ich.
Schwere Schritte drangen die Treppe hinauf. Es klopfte an der Tür. Lenerl öffnete vorsichtig, damit man mich nicht unbekleidet sehen konnte. Sie streckte ihre von der Hausarbeit gerötete Hand aus, nahm einen Brief entgegen und übergab ihn mir. Ich erkannte das Wappen, das ins Siegelwachs gedrückt war. Ich hatte es auf Baron van Swietens Kutsche gesehen, als ich zu Magdalena Hofdemels Haus gegangen war. Ich biss mir auf die Unterlippe.
Der Brief des Barons bestätigte, dass ich an diesem Nachmittag für seine Kavaliersgesellschaft spielen sollte. Van Swieten bat darum, vorher mit ihm zu Mittag zu speisen. Er schrieb, dass er etwas Besonderes habe, das er nur mit mir teilen wolle. Seine Sprache war formell und unpersönlich, doch entfachte sie in mir eine Begeisterung, von der ich wusste, dass sie ungehörig war.
«Gib mir meine Schreibmappe», sagte ich. «Ich muss sofort antworten. Dann kannst du mich fürs Mittagessen mit dem Baron ankleiden.»
Lenerl schraubte den Verschluss des Tintenfässchens auf. Auf der Kommodenkante schrieb ich eine kurze Nachricht an den Baron, dass ich seine Einladung annähme.
«Stellen Sie sich vor, Madame, Mittagessen mit einem Baron. Kannten Sie ihn
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