Mozarts letzte Arie
Pachtangelegenheiten zu regeln.»
«Führen Ihre Güter Sie oft nach Berlin?»
«Keineswegs.» Lichnowsky sagte das so heftig, dass ein Kontrabassist und zwei Cellisten des Orchesters beim Stimmen erstaunt aufblickten.
Der Prinz wartete, bis die Musiker ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Instrumenten widmeten. «Ich denke, ich hätte auf die Reise verzichten können, wenn es lediglich um meine Güter gegangen wäre. Ich habe Wolfgang aus anderen Gründen begleitet.»
«Als Freimaurer?»
Er hustete, um meine Worte zu übertönen.
Ich hätte ihm gern noch weitere Fragen gestellt, doch nun betrat Maestro Salieri, der Hofkomponist, den Saal aus einem Nebenraum. Das Orchester erhob sich.
Salieri nahm den Beifall entgegen. Der Saal verstummte. Salieri sammelte sich, presste die Lippen aufeinander, seine Augen blickten leidvoll. Er hob die Arme und begann das
Allegro vivace
aus Wolfgangs letzter Symphonie.
Ich hörte es zum ersten Mal. Mit einer Komplexität und Majestät, die ich aus seinen früheren Symphonien nicht kannte, riss es mich mit.
Als Salieri die Arme hochreckte, um die Fuge des
Moltoallegro
-Finales zu beenden, hatten mich alle Kräfte verlassen. Ich hatte meinen Bruder als Wunderkind gekannt, dann als einen Mann mit außergewöhnlichem Talent am Klavier, der auch über eine einfühlsame Kompositionstechnik verfügte. Aber bis zu diesem Moment war mir die atemberaubende Größe seiner Begabung nicht aufgegangen.
Ich öffnete den Mund und weinte leise, während sich die Leute um mich herum erhoben und applaudierten. Als er nur noch mein Bruder gewesen war, hatte ich Wolfgangs Tod betrauert. Jetzt, wo ich in ihm einen Mann von so verblüffendem musikalischem Genie erkannte, empfand ich seinen Verlust als noch schwerer. Das war es, was mich zitternd auf meinem Platz hielt.
Lichnowsky sah mich verwundert an, als würde mein Gefühlsausbruch ihn beschämen. «Madame?»
Ich wischte mir mit einem Finger die Tränen aus den Augen und lächelte. Ich wollte ihn ablenken, sein Unbehagen zerstreuen. Ich berührte sein Handgelenk. «Sie haben mir von Ihrer Reise nach Berlin erzählt. Wie war die Fahrt?»
«Wolfgang und ich reisten langsam über Leipzig nach Berlin. Ihr Bruder hat dort die Werke Johann Sebastian Bachsstudiert.» Seine Lippen zuckten, und er strich sich über die Nase. «Wir reisten weiter nach Berlin und sollten vom König von Preußen im Schloss Sanssouci empfangen werden. Das ist ein höchst angenehmer Ort. Das Beste sind die Gärten. Während wir warteten, spazierten wir über die Terrassen und hinter einem Wasserfall in eine hübsche Grotte.»
«Eine Grotte?»
Mein Einwurf ließ ihn zögern. «Ganz recht. Eine kleine Höhle. Ein Sitzplatz während der heißen Sommermonate. Der König hat auch einen ägyptischen Garten mit Statuen im Pharaonenstil und mystischen Pyramiden errichten lassen.»
Ich fühlte in der Tasche meines Kleids nach Wolfgangs Notiz.
Die Grotte.
Ich schloss die Augen.
Der Prinz beugte sich zu mir vor. «Fühlen Sie sich unwohl?»
Erneuter Applaus.
«Ihre Schwägerin tritt jetzt auf», sagte er.
Constanze sang «Ach, ich war verliebt», und ihre Schwester folgte mit einer virtuosen Arie, die sie, wie Lichnowsky mir erklärte, in der
Zauberflöte
in Schikaneders Theater sang.
Aber ich hörte kaum zu. Ich war völlig verwirrt. Lichnowskys Erwähnung einer Grotte in Berlin, Stadlers Wut über den Brief, Giesekes merkwürdiges Geraune über Zahlen. Ich bemühte mich, meine Gedankenflut zu bändigen. Ich musste vor meinem Auftritt den Kopf frei bekommen.
Meine Finger waren verkrümmt und verkrampft. Ich sah sie an und fürchtete, das Publikum zu enttäuschen. Als Mädchen hatte ich oft auf meinen Auftritt warten müssen, während Wolfgang seine Tricks vorführte und jedermann damit entzückte, mit verbundenen Augen zu spielen und auf Zuruf zu improvisieren. Häufig dauerte das so lange und war so erfolgreich, dass für meinen Auftritt keine Zeit mehr blieb. Ich musste dann niedergeschlagen zusehen, wie die Herzöge und Prinzen zu ihren Diners gingen, ohne mir zugehört zuhaben. Ich wünschte mir, dass dies auch heute mein Schicksal sein möge. Die besten Musiker Wiens hatten einer nach dem anderen ihre Interpretationen meines genialen Bruders zu Gehör gebracht. Gleich würde ich den Beweis antreten müssen, dass der Name Mozart auch mit Mittelmaß in Verbindung gebracht werden konnte.
Mademoiselle von Paradis beendete ihren Vortrag einer Sonate Wolfgangs in B-Dur mit
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