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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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vereint.

9

    Baron van Swieten konzentrierte sich auf seinen Gehstock, als würde dessen Spitze eine Botschaft in einem Geheimcode aufs Parkett tippen. Seine Gesichtsmuskulatur war angespannt. Ich merkte, dass er eine starke Gefühlswallung zu unterdrücken versuchte, doch seine Stimme verriet ihn. «Es war, als hätte Wolfgang heute Abend für uns gespielt.»
    «Sie schmeicheln mir, mein Herr.»
    Er rieb sich mit dem Finger die Nase. «Oh, ich neige eigentlich nicht zu Schmeicheleien.»
    «Ich habe dergleichen auch nie gelernt. Sie glauben mir also, wenn ich sage, dass Wolfgang mir oft und höchst angetan von Ihnen geschrieben hat.»
    «Weniger von mir, nehme ich an, als von den Konzerten, die er mit meinen Freunden gegeben hat. Ich veranstalte jeden Sonntagnachmittag im großen Saal der Kaiserlichen Bibliothek kleine musikalische Zusammenkünfte. Wir standen dann immer ums Klavier herum und sangen, und Wolfgang spielte und sang und korrigierte zugleich unsere Harmonien. Es ist, als wäre mir ein geliebter Sohn genommen worden.» Swieten sah auf, und seine Augen blickten heiterer. «Wollen Sie sich nicht morgen unserem kleinen Musiksalon anschließen? Es wäre uns eine Ehre.»
    Vielleicht würde ich in Swietens Bibliothek noch auf andere Leute treffen, die Wolfgang nahestanden. Sie mochten mehr über die mysteriöse
Grotte
wissen oder zumindest meine Zweifel an seinem Tod zerstreuen. «Es wäre mir ein Vergnügen.Ich hoffe, mein Spiel wird Sie und Ihre Gäste nicht enttäuschen.»
    «Nachdem ich Sie heute Abend gehört habe, kann das unmöglich der Fall sein.»
    «Das Publikum war sehr vornehm. Es war ein wunderbarer Abend voller Musik.»
    Swieten musterte die Aristokraten und Kaufleute, die durch den Saal promenierten. «Diese Leute stinken und sind korrupt. Unter der Colognewolke, die in der Luft liegt, riechen ihre ungewaschenen Körper übel. Aber Sie haben recht, die Musik war wunderbar.»
    Obwohl ich lediglich das Glücksgefühl meines Erfolgs auskosten wollte, entging mir nicht, dass er offenbar andere Sorgen hatte. «Ist etwas nicht in Ordnung, mein Herr?»
    «Sagen wir mal so, dass ich noch einige ärgerliche Verpflichtungen in der Hofburg habe. Zusätzlich zur Bibliothek stehe ich auch der Kaiserlichen Zensurbehörde vor. Aber ich stelle fest, dass ich nicht an Zensur glaube. Ich würde jedem die Freiheit lassen, zu sagen und zu schreiben, was er will.» Er lächelte bitter. «Mit denjenigen im Dienst des Kaisers, die mit Ausnahme der Bibel alles indizieren wollen, stehe ich ständig auf Kriegsfuß.»
    Lichnowsky trat mit Stadler und Constanze dicht an Swieten heran.
    Meine Schwägerin ergriff meine Hand. «Du hast so schön gespielt», sagte sie.
    «Das Konzert war göttlich, Madame de Mozart», sagte Lichnowsky. «Wolfgang war seiner Zeit so weit voraus, fast nicht von dieser Welt, ein Engel. Man könnte sagen, er war zu viel für uns. Deswegen ist er gestorben – um in einen ihm angemessenen Himmel einzugehen.»
    Swieten stieß mit dem Stock auf den Boden. «Unfug, mein Prinz. Wolfgang war mehr als jeder andere von uns ein Mannseiner Zeit. Er repräsentierte die neuen Ideen der Aufklärung von Freiheit und Gleichheit, des wissenschaftlichen und intellektuellen Forschens. Man findet all diese Dinge in seinen Liedern und in den Themen seiner Opern. Wenn es manche gibt, die den Lauf des Fortschritts verhindern wollen, dann sind es diese Leute, die ihn wahrlich in den Tod getrieben haben.» Er sah sich um, als könnte er solche Leute in der Nähe ausmachen, um sich mit ihnen anzulegen. Er strahlte eine Kraft aus, die im Widerspruch zur Spitze und Stickerei seiner Garderobe stand.
    «Aber Wolfgangs Ideen lassen sich nicht aus der Welt schaffen», fuhr er fort. «Er hat es nie zugelassen, dass seine Befürchtungen seine Kunst zum Schweigen bringen.»
    Ich fing einen zwischen Lichnowsky und Stadler gewechselten Blick auf, in dem eine Warnung lag. Ich wunderte mich über Swietens letzte Worte. Was hatte Wolfgang zu fürchten?
    «Maestro Mozart war also frei von Furcht? Falls ja, war das ein Fehler.» Eine weiche, kultivierte Stimme hinter uns. «Furcht sollte der Seele als Hüterin dienen, um sie zur Weisheit zu zwingen.»
    Unsere Gruppe wandte sich einem Herrn in einem grünen Rock zu, der Baron van Swieten anlächelte und dabei über seinem Ohr eine Locke an seiner Perücke zwirbelte.
    «Aber Aischylos fügt hinzu, dass Nachsicht über hartes Urteilen obsiegen müsse», sagte Swieten. «Ihre klassische

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