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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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gewohnt, nach dem weichen Kern unter einer harten Schale zu suchen. Ich würde es gern spielen.»
    Seine Züge wurden offen und verletzlich, doch dann verzog er das Gesicht. «Es wäre eine Beleidigung für Ihre Hände, eine solche Aneinanderreihung von Noten ausführen zu sollen», sagte er. «Mir reicht es, als Amateur mit Freunden zu musizieren. Meine Kompositionen müssen aber in diesem Raum verbleiben. Meine heimlichen Laster.»
    Er strich mit der Hand über eine gelbe Arabeske, die auf die dunkelgrüne Wand gemalt war, zuckte mit den Schultern,streckte den Arm aus und führte mich durch die Tür ins Speisezimmer, das mit blauem und weißem Damast geschmückt war.
    Der Kammerdiener schenkte goldgelben Weißwein ein. Swieten hob sein Glas. «Ein guter alter Smaragd aus der Wachau, am Donauufer nahe Wien», sagte er. «Ungefähr zwanzig Jahre alt. Sehr volles Buket. Ausgezeichnet.»
    «An guten Wein bin ich gar nicht mehr gewöhnt.»
    «Wenn man in den Bergen wohnt, ist es nur natürlich, das klare Seewasser zu trinken. Hier in Wien ist das Wasser so schlecht, dass es einen binnen einer Woche umbringen würde. Man hat nur die Wahl zwischen Wein, Bier oder dem Friedhof.» Als er vom Tod sprach, ließ Swieten sein Glas in der Luft schweben, ehe er es an den Mund setzte. Er verzog die Lippen, als ob ihn das Buket anwiderte.
    Ich trank. «Der Wein ist sehr gut, Euer Gnaden.»
    «Entschuldigen Sie meine düstere Stimmung», sagte er. «Ich hätte meine Zweifel an Wolfgangs Ableben nicht aussprechen sollen. Sie sind vermutlich nur das Ergebnis zu vieler Jahre in der Hofburg. Verschwörungen gibt es hier überall.»
    «Glauben Sie bitte nicht, dass ich lediglich nach Wien gekommen bin, um an Wolfgangs Grab zu trauern, mein Herr. Auch ich habe meine Zweifel an den Umständen seines Todes.»
    «Ach ja?» Er sprach lebhaft und wie erleichtert.
    «In der Tat, die habe ich.» Ich strich mit dem Finger über den Glasrand. «Ich sehe, dass sein Tod Sie tief berührt.»
    Er klopfte auf den Tisch. «All meine Inspiration habe ich aus Wolfgangs Musik gezogen. Jetzt, da er tot ist, empfinde ich Verzweiflung. Nicht nur persönlich, sondern Verzweiflung für unser ganzes Reich.»
    Der Diener setzte mir eine Suppentasse mit Rinderbrühe vor.
    «Das Reich?», sagte ich.
    «Neue Ideen von Gleichheit und Freiheit haben das geistige Leben in ganz Europa verändert. Ich habe den Kaiser dazu überredet, seine Politik im Geiste der Aufklärung zu betreiben.» Swieten rührte mit dem Löffel in der Brühe, aß aber nichts. «Dann kam die Revolution in Frankreich. Unser Kaiser befürchtete bald Unruhen in österreichischen Landen.»
    «Ist denn eine Revolution hier tatsächlich möglich?»
    «Die anderen großen Monarchen Europas sind mit dem Unmöglichen konfrontiert worden. König George spürte den Stachel der Niederlage vor kaum zwanzig Jahren in seinen amerikanischen Kolonien. König Louis wurde erst vor einigen Monaten aus Versailles hinausgeworfen. Gleichwohl bezweifle ich, dass es auch hier passieren könnte.»
    «Gott sei Dank.»
    «Natürlich fällt es mir leicht, so entspannt damit umzugehen. Ich habe weniger zu verlieren als der Kaiser.» Er starrte seinen Löffel an und legte ihn auf den Tisch. «Unser Monarch schenkt meinen Reformen jetzt keine Beachtung. Er befürchtet, meine Liberalität könnte radikalen Ideen den Weg nach Österreich bahnen. Sind Sie mit Ihrer Rindsuppe fertig? Räumen Sie das ab.»
    Der Diener nahm die Suppentassen vom Tisch und brachte einen dampfenden Keramiktopf von der Anrichte.
    «In diesen Tagen hört der Kaiser auf die Verdächtigungen des Grafen Pergen, den Sie gestern Abend im Konzert kennengelernt haben. Der Polizeiminister ist, wie Sie vielleicht bemerkt haben, kein Liberaler.»
    Der Diener hob eine Scheibe gekochten Rindfleischs mit dickem Fettrand aus dem Topf und legte mir Kartoffeln auf den Teller.
    Swieten sah zu, wie der Diener ihm einen Teller vorsetzte, und runzelte die Stirn. «Ich verliere meine Schlacht gegen Pergen.Die Schlacht, in der es darum geht, in unserer Gesellschaft einen Platz für Fortschritt und Gedankenfreiheit zu schaffen.»
    Wenn ich als Kind für Adlige Spinett spielte, wusste ich nichts von ihren Anstrengungen, ihre Ideen durchzusetzen und den Staat nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Als ich nun dem Baron zuhörte, kam es mir töricht vor, mich mit den Farben meiner Bänder und meinen Frisuren beschäftigt zu haben. Um mich herum hatte es überall höchst bedeutende

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