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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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verließ, um nach Wien zu gehen, hatte ich mich mit einem fassungslosen Gefühlsausbruch unter Tränen ins Bett gelegt. Da mein Bruder nun fort war, fürchtete ich, dass mich niemand mehr unterstützen würde, wenn mein Vater sterben würde. Papa hatte immer gesagt, dass eine alleinstehende Frau dazu gezwungen sei, sich als Haushaltshilfe zu verdingen. Ich wäre zwar keine Zofe wie Lenerl geworden, aber selbst als Gouvernante wäre es mir schlecht ergangen. Es missfiel mir ja bereits, dazu genötigt zu sein, mich um meine Stiefkinder zu kümmern. Mein Charakter eignete sich nicht für die Knechtschaft. Mein Vater wusste das, und er machte sich deshalb Sorgen, bis er einen Mann für mich fand.
    Ich faltete den Brief zusammen und wählte einen nachsichtigen Ton. «Meine Kleider, Lenerl.»
    Sie ging zu meinem Reisekoffer.
    «Das violette Kleid mit den Spitzen am Mieder», sagte ich.
    «Natürlich, Madame.»
    Ich schob den Brief meines Mannes in die Schreibmappe. Später würde ich ihm von meiner Einladung zur Kavaliersgeseilschaftdes Barons schreiben. Berchtold würde es gefallen, dass ich von einem hohen kaiserlichen Beamten empfangen wurde. Er musste nicht wissen, dass ich hoffte, von Swieten mehr über Wolfgangs letzte Tage zu erfahren, und auch nicht, dass mich ein Gefühl, dessen Namen ich lieber unerwähnt ließ, überkommen hatte, als ich den Baron vor dem Collaltopalais zum ersten Mal gesehen hatte.
    Lenerl faltete das Kleid auf meinem Bett auseinander. Sie nahm meine Unterwäsche aus der Schublade. Die Fischknochen im Korsett klapperten, als sie es hochhielt. Ich schlüpfte aus meinem Nachthemd und ließ mir von ihr die Korsettstangen anlegen.
    «Hast du dich etwas in Wien umgesehen, während ich meine Besuche gemacht habe?», fragte ich.
    Sie zog die Schnüre fest. Ich atmete aus, und sie zog stärker.
    «Ich habe einen Spaziergang zum Dom gemacht, Madame», sagte sie. «Um da für die Seele meiner Mutter zu beten. Was für ein Ort.»
    «Gefällt dir Wien?»
    Sie nahm das Kleid vom Bett und hob es über meinen Kopf. «Hier ist schon ein bisschen mehr los als in St. Gilgen, Madame.» Sie schaute mir über die Schulter und fing meinen Blick im Spiegel auf. Sie senkte den Blick zum Spitzenbesatz auf der Rückseite meines Kleids. «Zu Hause gibt’s auch keine Barone.»
    Da hatte sie recht. Niemand in meinem Dorf war wie Baron van Swieten.

11

    Ich betrat den Platz der Bibliothek neben dem Palais Pálffy, in dem Wolfgang oft vor seinen adeligen Gönnern aufgetreten war. Ich flüsterte ein Gebet für meinen Bruder und summte eine seiner Arien.
    Jenseits des weiten Platzes strahlte das monumentale Kalksteingebäude der Kaiserlichen Bibliothek in der klaren Mittagssonne. Mein Puls beschleunigte sich, die altbekannte Erregung, die mich als Kind immer überkommen hatte, wenn ich einen Palast betrat. Ich pfiff Wolfgangs Arie durch die Zähne.
    Der Portier wies mich zu einem Treppenhaus aus Alabaster, durch dessen Fenster das goldene Tageslicht eher noch strahlender fiel, als gedämpft zu werden. Beim Emporsteigen ließ ich nicht nur den Schmutz und Lärm der Straßen hinter mir. Vielmehr begab ich mich an einen Ort, an dem alles erleuchtet zu sein schien.
    Am Ende der Treppe öffnete sich eine Tür aus poliertem Kastanienholz zu einem atemberaubenden Saal. Bücherregale aus Eichenholz ragten vom cremefarbenen Marmorboden über zwei Etagen in die Höhe. Römische Nummerierungen in Blattgold bezeichneten ihren Ort im Bibliothekskatalog. Massive ebenholzfarbene Säulen reichten bis zu einem hellen Deckenfresko hinauf.
    Mit einem Bücherstapel unterm Arm kletterte ein Bibliothekar von einer Trittleiter herunter. Ich bat ihn, mich zu Baron van Swieten zu führen. Er drückte gegen die Regalehinter seiner Leiter. Ein Segment der Bücherwand schwang zurück und öffnete sich zu einer verborgene Kammer, die kaum größer war als der Schreibtisch darin.
    Der Baron hockte mit einem Manuskript auf dem Schoß auf der Fensterbank.
    «Madame de Mozart.» Er legte das Manuskript behutsam auf dem Schreibtisch ab und entließ den Bibliothekar. «Danke, Strafinger.»
    Er trug einen schwarzen Gehrock mit Perlmuttknöpfen und eine bestickte blaue Weste. Er verbeugte sich und führte meine Hand an seine Lippen.
    Ich warf einen Blick auf das aufgeschlagene Manuskript. Sein Blick folgte meinem, und er lächelte.
    «Pergament. Eine Karte des Postsystems der römischen Kaiser. Sehen Sie.» Er ging zum Schreibtisch und bedeutete mir, näher zu

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