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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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spielte, war es, als sei er noch lebendig. Wie konnten sie nur den Schluss des Stücks hören, ohne noch einmal die Tragödie seines Todes durchzumachen?
    Baron Swietens Lippen waren streng, lächelten nicht. Ich begriff, dass Wolfgang auch für ihn jedes Mal aufs Neuestarb, wenn er seine Musik hörte. Wir sahen uns an, bis der Applaus verebbte.
    Jemand räusperte sich, als sei er beschämt. Swieten riss sich zusammen. «Herr Gieseke, bitte.»
    Als ich eingetreten war, hatte ich den Schauspieler nicht bemerkt. Er stellte sich vors Klavier. Ich lächelte ihm überrascht und zugleich vertraulich zu, aber er erwiderte das Lächeln nicht. Er trug den gleichen schwarzen Rock, den er auch im Pavillon beim Freihaustheater angehabt hatte. Den milchigen Fleck hatte er jedoch vom Saum entfernt. Seine Krawatte saß eng am Hals, und er hatte sein schütteres Haar in einer genialischen Tolle aus der Stirn gekämmt. Ich setzte mich neben Swieten auf einen Stuhl.
    Gieseke deklamierte die ersten Zeilen einer Ode des Skandalschriftstellers Schiller. Ich hatte bereits gehört, dass sie einfache Menschen als ihren Monarchen ebenbürtig darstellte. Dennoch lächelten die Aristokraten zustimmend, während sie dem Schauspieler lauschten.
    «Groll und Rache sei vergessen, unserm Todfeind sei verziehn.»
    Die Kraft von Giesekes Stimme überraschte mich. Als ich ihn kennengelernt hatte, war er höhnisch und schrill gewesen. Ich fragte mich, ob ein Schauspieler, der einen Text rezitierte, sich so verwandelte, wie ich mich verwandelte, wenn ich am Klavier saß.
    «Rettung von Tyrannenketten.»
    Swietens Kinn zitterte vor Bewegung durch das Gedicht.
    «Eine heitre Abschiedsstunde! Süßen Schlaf im Leichentuch.»
    Gieseke hielt inne.
    In der Stille rang er hörbar nach Atem und hob die Augen erwartungsvoll und zugleich voller Angst zu den Cherubinen und Sagengestalten, die oben unter die Kuppel gemalt waren.
    Er reckte die Arme empor. «Brüder, einen sanften Spruch, aus des Totenrichters Munde!»
    «Bravo!» Swieten sprang auf und applaudierte.
    Während die anderen Kavaliere es Swieten gleichtaten, verbeugte Gieseke sich knapp. Seine zerfurchte Stirn schien Zweifel auszudrücken. War er sich unsicher, ob sein eigener Urteilsspruch so milde ausfallen würde, wie der Dichter es gefordert hatte?
    Swieten klopfte Gieseke auf die Schulter und dankte ihm. Der Schauspieler schlurfte zur Glühweinkaraffe.
    «Mehr Musik!», rief der Baron.
    Maestro Salieri setzte sich ans Klavier, und Swieten übernahm mit zwei anderen den Vokalpart, um ein Oratorium von Händel darzubringen.
    Ein schwerer Mann in einem blauen Rock mit Goldborten und weißen Kniehosen setzte sich auf den Stuhl neben mich. Die niedrige Stirn und sein Gesicht gaben ihm das Aussehen eines lebhaften Wolfshunds, gutmütig und zugleich raubtierhaft.
    «Ihre Darbietung war exzellent, Madame», sagte er und rückte seine kurze weiße Perücke zurecht.
    «Danke, mein Herr.»
    «Ich hatte das Vergnügen einer brüderlichen Nähe zu Maestro Mozart.» Er lächelte in Richtung der Sänger und sprach, ohne die Lippen zu bewegen. Er blickte zur Seite, um mich zu mustern. Obwohl er in diesem Palast zu Hause war, lag in seinem Blick eine wilde Vulgarität, die in die Elendsviertel gehörte.
    «Unglücklicherweise habe ich Ihren Namen nicht verstanden, mein Herr», sagte ich.
    «Baron Konstant von Jacobi, Madame.» Sein Akzent klang hart und scharf, norddeutsch.
    Eine brüderliche Nähe zu Wolfgang. Ich erinnerte mich anseinen Namen und die Dreiecke, die er in Stadlers Gästebuch hinterlassen hatte. Noch ein Freimaurer.
    «Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Euer Gnaden. Ich höre an Ihrer Stimme, dass Sie kein Wiener sind. Was führt Sie in diese Stadt?»
    «Die Pflicht. Ich bin der Gesandte des preußischen Königs.»
    «Haben Sie Ihre – Ihre brüderliche Nähe mit Wolfgang lange geteilt?»
    «Seit seinem Besuch in Berlin vor zwei Jahren. Bald darauf, als ich meinen Posten hier antrat, haben wir unsere Bekanntschaft aufgefrischt.»
    «In Berlin. Dann sind Sie ihm also in Begleitung von Prinz Lichnowsky begegnet?»
    Der Prinz saß so steif und aufrecht, dass sein Rücken die Stuhllehne nicht berührte, am anderen Ende des Raums.
    «Ja, in Begleitung dieses Halunken.» Der Gesandte machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Lichnowsky.
    Ich empfand diese Attacke auf einen Freund Wolfgangs als Beleidigung. «Er scheint mir ein ehrenwerter Herr zu sein.»
    «Glauben Sie? Er

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