Mozarts letzte Arie
gegenüber angeklagt zu werden, dass sie untereinander zu Verrätern werden.»
Er gab mir die
Grotte
-Notiz zurück. Als er in sein Studierzimmer ging, steckte ich sie wieder in die Tasche. Durch die Tür sah ich, dass er eine Akte von einem Manuskriptstapel nahm und aufschlug. Er kam wieder zur Tür.
«Hören Sie sich das an: ‹Die Polizei ist damit beauftragt zu observieren, was die Leute über den Monarchen und sein Kabinett sagen, wie die Haltung der Leute gegenüber der Regierung im Allgemeinen ist, ob Unzufriedene oder sogar Aufwiegler in den höheren und niederen Ständen am Werk sind, und all das soll regelmäßig dem Hauptquartier gemeldet werden. Es handelt sich um einen geheimen Erlass des Kaisers, mit dem Pergen noch mehr Befugnisse bekommt, auf allen gesellschaftlichen Ebenen Agenten einzusetzen. Niemand darf mehr seine freie Meinung sagen.»
«Aber man darf noch frei
singen?»
Er hob den Zeigefinger. «Wolfgang glaubte das.»
«Hat er sich geirrt?»
«Wenn Leute den Staat kritisieren, dann schenken ihnen nur ein paar Radikale an den Rändern der Gesellschaft Aufmerksamkeit.»
«Aber wenn Wolfgang seine Musik spielte …»
«Hörten alle zu.»
Die Kirchenglocken läuteten zum Angelus, drei Schläge, gefolgt von einer Gebetspause, dreimal wiederholt. Zwischen jedem der Glockenintervalle flüsterte ich ein Ave-Maria.
Als das Läuten aufhörte, räusperte Swieten sich, als sei Beten etwas Peinliches. «Meine Gäste werden bald eintreffen. Es ist gleich Zeit für Ihren Auftritt.»
13
Zwei Dutzend Herren der Kavaliersgesellschaft plauderten und nippten an ihren Glühweingläsern, als der Lakai die Lampen in der kaiserlichen Bibliothek entzündete. Jenseits des Hofs schimmerten die Lichter der kaiserlichen Repräsentationsräume wie Bernstein durch das Doppelglas der Fenster.
Ich nahm meinen Platz am Klavier ein. Baron van Swieten sah die Herren an, bis sie wie schuldbewusste Schuljungen auf ihren vergoldeten Stühlen verstummten.
«Madame de Mozart», sagte er mit einer Verbeugung.
Ich hatte zu diesem Anlass eine von Wolfgangs Fugen eingeübt, weil ich mich erinnerte, dass er mir geschrieben hatte, Swieten habe eine besondere Vorliebe für diese Kompositionsweise. Es war das komplexe Stück eines reifen Musikers. Doch
diesen
Wolfgang kannten die Herren bereits. Ich wollte ihnen den Wolfgang präsentieren, den ich gekannt hatte. Ich schloss die Augen und erinnerte mich an ein Zimmer in einem Gasthaus in Amsterdam, als ich fünfzehn gewesen war.
Wolfgang war damals zehn Jahre alt. Meine Mutter las einen neuen englischen Roman, obwohl sie trotz unseres Jahrs in London die Sprache nur wenig beherrschte. Unser Vater schrieb wieder einmal einen Brief an unseren Vermieter in Salzburg, in dem er unsere zahlreichen Erfolge auflistete. Ich saß am Klavier, während Wolfgang mit kratzender Feder in ein Notizbuch schrieb, das er für seine Kompositionen benutzte, und eine hübsche, kleine Melodie vor sich hin summte.
Als ich in der kaiserlichen Bibliothek die Hände über der Tastatur hob, konnte ich mich immer noch daran erinnern, wie mein Bruder und ich gelacht hatten, als er sich neben mich auf den Klavierschemel quetschte, seine Hüfte an meine drückte, um den Satz Variationen auszuprobieren, den er geschrieben hatte. Er basierte auf einem Lied des Hofkomponisten des Prinzen von Oranien.
Anstelle der Fuge begann ich also mit dem trillernden holländischen Thema. Ich spielte die synkopierten Variationen, die Trios, die kürzeren Noten, das
Adagio.
Ich wurde wieder zu dem fröhlichen, verspielten fünfzehnjährigen Mädchen im Kreis seiner Familie. In der Musik schuf ich mir ein Fantasieleben, in dem ich nie den Kontakt zu meinem Bruder verloren hatte. In dieser Fiktion sprach ich mit meiner Mutter und meinem Vater über das, was ich mir zu sagen gewünscht hätte, und nicht über das, was sie meiner Meinung nach von mir zu hören wünschten. Diese fantasierten Eltern waren natürlich damit einverstanden, dass ich wie Wolfgang eine musikalische Karriere einschlagen würde.
Während ich seine Musik spielte, stellte ich mir vor, dass er nicht gestorben sei.
Dann waren die Variationen zu Ende. Ich befand mich wieder in der kaiserlichen Bibliothek. In der Kuppel hallte der Applaus einiger der mächtigsten Männer Wiens wider.
Und Wolfgang war tot.
Die geröteten Gesichter in meiner Umgebung strahlten sich vor Freude gegenseitig an. Zorn verwandelte meine Hände in Fäuste. Wenn ich Wolfgangs Musik
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