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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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ist wie eins dieser Flöße, die auf der Donau nach Ungarn treiben. Mit der Strömung kommt er gut voran, aber die Rückreise gegen die Strömung schafft er nicht. Ein Opportunist, verstehen Sie, im Schlepptau anderer Männer. Prinzipienlos.» Der Preuße leckte sich die Lippen und grinste. «Man sollte ihn zu Brennholz machen wie diese Flöße, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Wahrlich ein Halunke.»
    «Aber ebenfalls ein Bruder, nicht wahr?»
    Er verstand meinen Rückschluss und sah mich an, als amüsierte ihn meine Deduktion. «Der Bösartigkeit kann man nirgends entkommen, nicht einmal in den brüderlichsten Kreisen.»
    Ich hatte nicht die Absicht, über Lichnowskys Charakter zu debattieren. Ich kam auf Wolfgang zurück. «Als Sie Wolfgang kennenlernten, suchte er um eine Stellung am Berliner Hof nach.»
    Jacobi blies die Wangen auf. «Der König wollte ihn verpflichten und verlängerte deshalb seine Einladung. Aber im Umkreis des Königs gab es Intrigen gegen Maestro Mozart. Zweifellos aus Furcht vor seinem Talent. Am Ende lag es nicht mehr in der Macht meines Herrn.»
    «Er hat sich entschieden, seinen Willen nicht durchzusetzen?»
    «Politische Angelegenheiten gehen über Grenzziehungen und Truppenbewegungen hinaus, Madame. Wer bei Hofe wichtige Posten besetzt, neigt stark zum Manövrieren. Musiker bilden da keine Ausnahme, wiewohl Ihr Bruder in derlei Dingen naiv war.»
    Ich wusste, dass das nur allzu wahr war. Auf unseren Reisen hatte unser Vater stets die Schmeicheleien vorgebracht, die uns Zugang zu Palästen und Salons verschafften. Vielleicht hatte Wolfgang diese Fähigkeit nie entwickelt.
    «Ich habe den Auftrag, gewisse Manuskripte Maestro Mozarts aufzukaufen und nach Berlin zu schaffen», sagte Jacobi. «Sie verstehen wohl, dass es sich um ein Zeichen der Wertschätzung handelt, die der König Ihrem Bruder entgegengebracht hat. Ich werde demnächst die Witwe aufsuchen, um eine Auswahl zu treffen.»
    Ich zweifelte nicht, dass Constanze zu verkaufen bereit war. Ich dachte, dass ich zuvor Wolfgangs Partituren durchsehen sollte, um ein paar meiner Lieblingsstücke für mich zu reklamieren. Ich erinnerte mich auch daran, dass er häufig Randnotizen in seine Kompositionen schrieb – Gedächtnisstützen für Dinge und Ideen, die mit der Musik selbst nichts zu tun hatten. Da ich seit der Zeit kurz nach dem Tod unseres Vaterskeinen Brief mehr von ihm erhalten hatte, wollte ich in diesen Randnotizen nach Hinweisen auf seine Erfahrungen während der für mich verlorenen Jahre suchen.
    Der Gesang war zu Ende. Maestro Salieri plauderte mit Swieten, während er eine Melodie mit türkischem Beiklang improvisierte.
    Prinz Lichnowsky verbeugte sich vor mir. Der preußische Gesandte erhob sich und schüttelte dem Mann, den er für einen Halunken hielt, die Hand. Dann schlenderte er zur Glühweinkaraffe, wo mir Gieseke auffiel, der mit einem einzigen Zug ein Weinglas leerte. Der Schauspieler funkelte mich an; seine Augen und seine Haut glänzten wie bei unserer ersten Begegnung.
    Prinz Lichnowskys Tokajer schwappte rot und bernsteinfarben im Glas, als er sich auf den Stuhl neben mich setzte.
    «Eine schöne Darbietung, Madame. Ich habe stets die klassische Symmetrie von Wolfgangs Musik bewundert.»
    «Das würde ich als oberflächliche Erscheinung bezeichnen», sagte ich. «Wolfgang legte in jedes Stück eine gewisse Spannung. Unser Vergnügen entsteht aus der inspirierten Weise, in der er diese Spannung dann wieder auflöst.»
    Der Prinz ließ sich den Tokajer über die Zunge rollen. Ich begriff, dass ich ihm zu direkt widersprochen hatte.
    «Sie ähneln Ihrem Bruder nicht nur vom Aussehen her. Auch er ließ keine dumme Bemerkung durchgehen, wenn es um Musik ging»
    «Ich habe nicht gesagt, dass sie dumm war, sondern …»
    «Falsch.»
    Eilige Schritte näherten sich, und Gieseke baute sich vor meinem Stuhl auf – so nah, dass ich die Reste des Flecks, den er von seinem Rock zu entfernen versucht hatte, erkennen konnte.
    «Der Baron van Swieten wünscht, dass ich Sie zu IhremGasthof begleite, Madame.» Seine Stimme war lauter als nötig, als wollte er jede Widerrede des Prinzen ersticken.
    Als Gieseke mir seine Hand entgegenstreckte, zuckte Lichnowsky mit den Schultern und trank den Rest seines Tokajers aus.

14

    Gieseke überquerte mit wehenden Rockschößen den Bibliotheksplatz. Im Zwielicht des Lampenscheins aus den Palastfenstern sahen seine Augen gelb aus. Er ergriff meinen Ellbogen. «Madame, ich muss Sie

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