Mozarts letzte Arie
angriff und mit dem Fuß ins Kreuz trat.
Ich machte mich in der Gasse davon.
«Nicht in Ihr Quartier. Man wird Sie dort suchen!», schrie Gieseke. «Zurück zur Hofburg.»
Ich eilte durch die Dorotheergasse und überquerte den Platz. Die Tür der Bibliothek war verriegelt und die Lichter waren gelöscht. Ich lief an der Hauswand entlang zur Kutscheneinfahrt unterhalb des kaiserlichen Ballsaals.
Ich eilte ins Licht der Laternen und war mir sicher, auf Wachen zu treffen, die Gieseke zu Hilfe eilen konnten. Aber ich sah niemanden.
Ich lief weiter an den hohen Bleiglasfenstern am Ende der Palastkapelle vorbei und fürchtete, zu spät zu kommen. Da hörte ich eine Stimme in der Dunkelheit.
«Madame, sind Sie in Schwierigkeiten?»
Ich wandte mich um. Prinz Lichnowsky trat ins Lampenlicht. Er trug einen hohen Pelzkragen und eine hohe Zobelmütze.
Er runzelte die Stirn. «Madame de Mozart?»
Ich ergriff ihn am Handschuh. «Tragen Sie eine Waffe, mein Prinz?»
«Einen Degen, aber …»
«Sie müssen mit mir kommen.»
Ich zog ihn über den Platz. Außer Atem erklärte ich ihm, dass Gieseke in Gefahr schwebte. Der Prinz beschleunigte seine Schritte, öffnete den Mantel und zog seinen Degen. Ich dachte an die Anschuldigungen, die der preußische Gesandte gegen Lichnowsky erhoben hatte. Er schienjedoch tapfer und edel zu sein, weder ein Feigling noch ein Halunke.
Die Gasse war leer. Der Eingang, in dem Gieseke mit den beiden Männer gekämpft hatte, lag still. Lichnowsky schob den Degen in die Scheide zurück.
Ich stand in dem Eingang und erinnerte mich an den Moment, in dem ich das Messer gesehen hatte. Ich war mir sicher, dass es gegen mich gerichtet gewesen war, nicht gegen Gieseke.
«Gestatten Sie, dass ich Sie zu Ihrem Gasthof begleite, Madame.» Lichnowsky bot mir seinen Arm an.
Ich dachte an Giesekes Warnung, nicht in mein Quartier zurückzukehren. Ich wollte Zeit gewinnen, um nachzudenken. «Ich würde lieber noch eine Weile spazieren gehen – unter vielen Menschen. Damit ich mich in Sicherheit weiß, nicht so allein. Es würde mich beruhigen. Macht es Ihnen etwas aus?»
Seine Lippen verzogen sich zu einem Anflug von Ungeduld. Er verneigte sich. «Es ist mir eine Ehre.»
Ich nahm seinen Arm.
«Ich habe ein Treffen, an dem ich teilnehmen muss. Ich meine, es handelt sich um eine gesellschaftliche Verpflichtung, verstehen Sie?», sagte er.
«Ich möchte Sie nicht davon abhalten.»
«Vielleicht können Sie sich in einem Vorzimmer ausruhen und erholen, während ich meinen Geschäften nachgehe.»
«Ich dachte, es handelt sich um eine gesellschaftliche Veranstaltung?»
Er verzog wieder den Mund. «Hier entlang ist es nicht weit bis zum Graben», sagte er. «Selbst an einem so kalten Abend wie heute ist er voller Droschken, die unterwegs zu den Theatern sind. Ich bin sicher, das werden Sie höchst unterhaltsam finden, und bei mir sind Sie in Sicherheit.»
15
Wir erreichten den Graben an der Pestsäule. Der Lampenschein vorbeifahrender Droschken huschte über das Denkmal für diejenigen, die dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen waren. Neun eingemeißelte Engelschöre stiegen zur vergoldeten Spitze empor. Mir kam es so vor, als führen die Cherubine zur Hölle hinab und reckten sich vergeblich nach dem flüchtigen Licht der Erlösung. Ich betete um den Glauben, die Skulptur so sehen zu können, wie sie gedacht war.
Die Straße hallte von hämmerndem Hufschlag und den Rufen der Kutscher wider, die ihre Gespanne antrieben und den Passanten Warnungen zuriefen. Lichnowsky hielt sich von den Droschken entfernt dicht an den Häuserwänden.
«Ich mache mir Sorgen um Herrn Gieseke», sagte ich.
Er schaute sich um, als müsse er sich vergewissern, dass niemand lauschte, obwohl ich mitten im chaotischen Verkehr kaum mein eigenes Wort verstehen konnte.
«Dafür gibt es keinen Grund», sagte er und hielt beim Gehen meinen Arm eng an seiner Seite. «Lassen Sie sich nicht von der guten Diktion eines Schauspielers täuschen. Er pflegt gewiss Umgang mit vielen zwielichtigen Elementen. Er weiß, wie man mit solchen Burschen umgeht, das können Sie mir glauben.»
Hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht und den Theaterpavillon verlassen, als ich Gieseke kennenlernte, hätte ich der Einschätzung des Prinzen folgen können. Der Schauspieler schien nur ein Wirrkopf zu sein. Doch ging mir nicht ausdem Kopf, was er mir erzählt und mit welcher Angst er gesprochen hatte. «Herr Gieseke glaubt …»
«Was?»
«Dass Wolfgang
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