Mozarts letzte Arie
Hausdieners, dunkle Höhlen, als er sich vor Lichnowsky verneigte.
16
Lichnowsky führte mich über eine breite Steintreppe in eine geräumige Kammer. Ich zwinkerte heftig, doch die hellen Wände verschwammen vor meinen Augen. Er setzte mich auf einen Diwan.
«Ein Glas Punsch wird Ihre Lebensgeister wecken, Madame.» Er schnickte einem Lakai mit den Fingern zu.
«Wo sind wir?»
In einem Raum über uns wurde Klavier gespielt. Wolfgangs Variationen eines Menuetts vom Direktor der königlichen Kammermusik zu Berlin. Sehr gut gespielt.
«Wir sind vor den anderen eingetroffen, die zur Versammlung kommen», sagte Lichnowsky. «Aber man darf Sie hier nicht sehen. Darum bitte ich Sie inständig.»
Der Lakai erschien mit einem Glas heißem Punsch auf einem Silbertablett. Ich nahm einen tiefen Zug.
Die Bilder an den Kammerwänden nahmen Formen an. Sie waren im venezianischen Stil gemalt, sinnlich und schockierend. Tiere und nackte Männer und Frauen lagerten zwischen Felsen, drapierten sich mit Weinlaub und aßen pralle Früchte.
Schritte kamen die Treppe hinauf, und scherzhaftes männliches Stimmengemurmel war zu hören. Die Männer gingen in einen anderen Raum und schlossen die Tür.
«Was ist das für ein Haus hier?», sagte ich.
«Madame, ich glaube, das waren die Gäste, die zu meinem Treffen gekommen sind. Sie müssen hierbleiben und zu Kräftenkommen. Ich komme zurück, sobald gewisse Angelegenheiten geregelt sind.» Lichnowsky tätschelte mein Handgelenk und ging auf den Treppenabsatz hinaus. Er winkte jemandem zu, der sich über ihm auf der Treppe befand.
Ich hörte auf dem Fußboden über mir ein paar gemessene Schritte. Das Klavier verstummte. Lichnowsky ging weiter zur Empfangshalle.
Ich trank den Rest des Punsches aus. Der Lakai nahm mir das leere Glas ab und schloss vorsichtig die Tür hinter sich.
Die Nackten an den Wänden verhöhnten mich mit ihrem unbekümmerten Vergnügen. Über diese unschuldigen und reinen Darstellungen des Paradieses runzelte ich missbilligend die Stirn. Ich schloss die Augen und befand mich wieder in der dunklen Gasse, in der Gieseke mit unseren Angreifern gekämpft hatte.
Musik tönte durch die Halle. Ein kleines Orchester von etwa acht Instrumenten.
Ich trat aus der Tür auf den leeren Treppenabsatz.
Männer riefen etwas, und ich erstarrte vor Schreck. Die Stimmen gingen in Gesang über. Der Schrei war nur der Eingangston des Liedes gewesen.
«Lasst die Instrumente laut erschallen», sangen sie, «unsere Freude zu verkünden.»
Die Musik erklang hinter Doppeltüren jenseits der Halle. In E-Dur. Der Männerchor ging in einen einzelnen Tenor und zwei Bassstimmen über.
Diszipliniert und zugleich anmutig, die Melodie klar über dem komplexen Kontrapunkt, war es unmöglich, den Stil nicht zu erkennen. Es handelte sich um eine Komposition meines Bruders.
Der Tenor sang von einem «großen Geheimnis». Dann fügte er hinzu: «Süß sind der Freimaurer Gefühle an einem solchen Festtag.»
Lichnowskys «Angelegenheit» war eine Freimaurerversammlung.
Als ich die Hand auf die Klinke der Doppeltür legte, erinnerte ich mich ans Giesekes Worte, diejenigen, die die Geheimnisse der Bruderschaft verrieten, hätten mit schweren Strafen zu rechnen. Was würden sie mit einer Frau machen, die ihre Zeremonien belauschte?
Der Chor stimmte in die Melodie des Tenors ein. Im Schutz des lauter gewordenen Gesangs drückte ich die Tür auf.
Ich betrat einen großen, langen Saal. Die Nische neben der Tür war unbeleuchtet. Solange niemand den Raum verließ, konnte ich mich hier unentdeckt aufhalten.
Etwa dreißig Freimaurer saßen an den Wänden auf mit Samt gepolsterten Bänken. Sie hatten ihre Degen umgeschnallt. Nicht weit entfernt von mir sah ich Stadler. Die Musiker spielten am Ende des Saals.
Hinter dem Orchester befand sich eine erhöhte Bühne. Auf einer gemalten Kulisse verschleierte ein Dreieck die Sonne. Ihr strahlender Umriss war mit Steinen gesäumt. Ich erkannte eine Pyramide von der Art, die sich die altägyptischen Herrscher einst als Grabstätte errichten ließen.
Lichnowsky hatte mir erzählt, der preußische König hätte sich bei seinem Palast in Berlin einen ägyptischen Garten bauen lassen. Vielleicht glich dessen Architektur der Einrichtung dieses Saals. Wie die Dreiecke in Stadlers Gästebuch repräsentierten die auf die Kulisse gemalten Symbole wohl geheime Mysterien der Freimaurer. Ich wunderte mich über die Beziehung zu Ägypten. War der König von
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