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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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vergiftet worden ist.»
    «Der Mann verbreitet nur wilde Gerüchte.»
    «Aber Wolfgang glaubte ebenfalls, vergiftet worden zu sein.»
    Lichnowsky blickte zur Heiligen Dreifaltigkeit auf der Pestsäule hinauf. «Der arme Mann», murmelte er.
    «Hat er Ihnen das nie anvertraut?», fragte ich.
    Der Prinz senkte den Kopf.
    «Wollen Sie mir helfen?», fragte ich.
    «Zu Ihren Diensten, meine liebe Dame.»
    «Ich muss wissen, ob es stimmt.»
    Er schaute wieder zum Denkmal. Ich fragte mich, ob er an diejenigen dachte, die von der Pest verschont geblieben, oder an diejenigen, die ihr zum Opfer gefallen waren.
    «Bitte.» Ich zog meine Hand aus dem Pelz und legte sie ihm auf sein Handgelenk.
    «Und was,
wenn
es wahr wäre, liebe Dame?»
    Ich muss gestehen, dass ich nicht daran gedacht hatte, wie ich reagieren würde, wenn die Wahrheit ans Licht käme.
    Er bemerkte meine Verwirrung. «In Ihnen steckt mehr von Wolfgang, als es auf den ersten Blick scheint», sagte er. «Ich habe gesehen, wie Sie nach Ihrem Auftritt in der Akademie der Wissenschaften auf den Fersen wippten. Sie wären genau wie er vor Freude herumgehüpft, hätten Sie sich nicht aus Schüchternheit vor neuen Bekannten zurückgehalten.»
    «Was hat das mit …»
    «Auch Ihre Naivität gleicht der Wolfgangs. Sie hat ihn in eine gefährliche Lage gebracht.»
    «Dann glauben Sie also auch, dass er ermordet worden ist?»
    «Nein, das glaube ich nicht.» Er lächelte beschwichtigend, flüchtig, aber freundlich. Es war merkwürdig, wie seine starren Gesichtszüge sich für einen Moment belebten. Wir hatten ein Thema berührt, das womöglich seine übliche, strenge Selbstkontrolle ins Wanken brachte.
    «In dieser Stadt gibt es gefährliche Leute», fuhr er fort, «die Gründe hatten, Wolfgang nicht zu mögen. Wenn Sie weiterhin seine Todesursache infrage stellen, könnte man daraus schließen, dass Sie sie verantwortlich machen.»
    «Aber ich würde niemals …»
    «Ein Versuch, Sie zum Schweigen zu bringen, bevor Sie diese Leute als seine Mörder diffamieren.» Er beugte sich dicht zu mir. «Wolfgang ist nie ganz erwachsen geworden. Ihr Bruder meinte, sich weiterhin wie der kleine Junge verhalten zu können, als der er im Palast gespielt hat und der Kaiserin auf den Schoß gesprungen ist. Er hat nicht gemerkt, wie Wien sich verändert hat. Lassen Sie sich nicht von der ehrenwerten Kavaliersgesellschaft des Barons van Swieten täuschen. Dies ist eine blutige Stadt voller übler Leidenschaften.»
    Ein Kutscher blaffte einem Mann, der versuchte, die Straße zu Fuß zu überqueren, eine Beleidigung zu, ließ die Peitsche über den Pferderücken knallen und brachte den armen Kerl zum Laufen, wollte er nicht niedergetrampelt werden. Ich sah, wie der Passant erleichtert in eine Seitenstraße eilte.
    Der Prinz hob die Hand und deutete die Straße hinab. «Sehen Sie, da hinten. Vor dem Domturm. Vor vier Jahren wurde auf dem Platz ein Mann gerädert. Festgebunden und gefoltert. Seine Knochen wurden einer nach dem anderen mit einem Hammer zertrümmert. Dann hängte man ihn. Die braven Bürger Wiens, unserer großartigen Stadt der Kunst und Kultur, erschienen zu Tausenden, um das Schauspiel zu genießen. Sie sind auch nicht zivilisierter als alle anderen.»
    Ich hielt mir die Hand vors Gesicht. Lichnowsky dachtezweifellos, dass ich nur eine zimperliche Frau sei. Aber das war es nicht allein. Ich dachte an meinen Mann und die kleinen Folterungen, die er als offizielle Strafen für Schmuggler und Wilderer anordnete.
    Lichnowsky fuhr fort. «Die Gebildeten der Stadt, inklusive einige von denen, die Sie in Swietens Salon getroffen haben, waren ebenfalls gekommen, um sich am Todeskampf des Delinquenten zu ergötzen.»
    Ich spürte den Schrecken der Hinrichtung, als würden meine eigenen Knochen zertrümmert. Meine Knie wurden weich, und ich sank an Lichnowskys Brust.
    Er schob mir seine Hände unter die Arme, um mich zu stützen. «Ich habe zu grob gesprochen, Madame. Verzeihen Sie bitte. Sie brauchen Zeit, um sich zu fassen.» Er führte mich durch den Verkehr. «Da drüben ist das Haus, in dem ich meine – meine Freunde treffen muss. Treten wir ein.»
    Eindrücke von der Straße drangen nur noch schemenhaft durch meinen Schwindel. Die langen weißen Köpfe eines Pferdegespanns hoben und senkten sich gleichmäßig im Vorbeitrotten. Die mit Federn geschmückten Flanken eines Pferdes streiften mich. Eine schwere Tür wurde geöffnet. Eine gepflegte Empfangshalle. Die Augen des

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