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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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war, kam aber zu dem Ergebnis, dass es besser wäre, wenn das Mädchen nichts wusste, falls die Angreifer nicht im Gasthof erschienen waren. «Anschließend bin ich einigen – einigen Herren auf der Straße begegnet, aber wir wurden voneinander getrennt. Haben sie hier nach mir gesucht?»
    «Keine Herren, Madame. Nur eine Dame. Und ein paar Raufbolde», sagte Lenerl.
    Der Wirt brachte Gebäck und eine Kanne Schokolade. Lenerl schenkte mir eine Tasse ein.
    «Diese Raufbolde waren zweifellos die Männer, die ich meinte.»
    «Aber Sie sagten …»
    «Ich war zu höflich, Mädchen. Das waren keine Herren.»
    «Sie haben sich hier an der Theke nach Ihnen erkundigt. Ich habe Karten gespielt und wollte schon etwas sagen, aber Joachim hat mir einen Blick zugeworfen …»
    «Wer ist Joachim?»
    «Der Wirt, Madame. Er hat sie von Kopf bis Fuß gemustert und mir die Hand auf die Schulter gelegt, damit ich sitzen blieb. Er hatte Angst, dass sie mir etwas antun würden. Er hat ihnen gesagt, dass Sie hier nicht anzutreffen sind. Sie sind dann sehr wütend abgezogen.»
    Ich brauchte beide Hände, um die Tasse Schokolade sicher zum Mund zu führen, und beschloss, die Nachricht über die mich suchenden Männer zu verdrängen. «Du hast gesagt, dass auch eine Dame gekommen sei?»
    «Eine Madame Hofdemel. Sie hat bei Joachim nach Ihnen gefragt, und er hat mich dann zu ihr gebracht. Das war spätabends. Ich habe ihr gesagt, dass Ihr Konzert inzwischen vorbei sein müsste und Sie wohl noch zum Abendessen ausgegangen sind.»
    «Hat Sie eine Nachricht hinterlassen?»
    «Sie hat gesagt, ich soll Ihnen ausrichten, dass sie Reue empfindet.»
    Ich brach ein Stück vom Gebäck ab. «Reue?»
    «Vielleicht steht es mir nicht zu, das zu sagen, aber sie wirkte ein wenig verwirrt. Ihr Gesicht war verschleiert. Trotzdem konnte man sehen, dass sie verletzt worden war. Zerschnitten, meine ich.»
    «Von ihrem Mann.»
    Lenerl atmete durch die fast geschlossenen Lippen ein und biss sich auf den Fingernagel. «Dann hoffe ich, dass er dafür bezahlt.»
    «Seine Strafe ist bereits vollstreckt.»
    Sie nagte an ihrer Unterlippe. Ich wusste, dass sie vor Neugier platzte, wo ich die Nacht verbracht hatte.
    «Nach meinem Auftritt bin ich zum Haus meines Bruders gegangen», sagte ich. «Ich habe meine verwitwete Schwägerin getröstet und dort übernachtet. Heute Morgen war ich in der Frühmesse.»
    Sie löste die Zähne von ihrer Lippe. «Sehr gut, Madame.»
    «Ich habe dich nicht im Dom gesehen.»
    «Ich dachte, ich warte lieber hier auf Sie, Madame. Ich habe vor Ihrem Bett all meine Gebete aufgesagt.»
    Ich kaute auf dem Gebäck. Lenerl hob die Kanne, um meine Tasse wieder mit Schokolade zu füllen, aber ich hob abwehrend die Hand. Dem Betrunkenen, der vor seinem Morgenwein kauerte, konnte es nicht übler gehen als mir.
    Wolfgang war tot. Aber wie war er gestorben? Von der Hand eines Mannes mit Beziehungen zu seiner gesetzeswidrigen Freimaurerbruderschaft? Oder durch die Männer, die mich auf der Straße überfallen hatten? Vielleicht war es am Ende sogar der Mann von Magdalena Hofdemel gewesen, um einen Ehebruch zu rächen? Warum sonst hätte sie gegenüber meinem Dienstmädchen von Reue geredet?
    Ich fragte mich, ob mein Bruder etwas zu bereuen gehabt hatte, als er starb.

22

    Nachdem ich mich in meinem Zimmer ausgeruht hatte, ging ich am späten Vormittag wieder in den Schankraum hinunter, um auf dem in der Ecke stehenden Clavichord zu üben. Ich spielte eine Sonate des neapolitanischen Maestros Scarlatti. Das Instrument war bereits minderwertig gewesen, als es noch neu war. Im Lauf der Jahre verschüttete Speisereste verklebten die Tasten. Die ersten Mittagsgäste trafen ein und plauderten zu meiner Musik. Ich schlug enttäuscht einen schweren, disharmonischen Akkord an und kehrte in mein Zimmer zurück.
    Als Lenerl mich frisierte, blieb sie an einem Knoten in einer langen Strähne hängen. Ich nahm ihr den Kamm aus der Hand und zerrte an dem Knoten herum, bis mir die Tränen kamen. Seufzend vor Schmerz und Ärger zog ich den Kamm schließlich hindurch und warf ihn auf die Kommode.
    Lenerl musterte mich im Spiegel von der Seite. Ich wollte ihr erklären, warum ich so gereizt war, konnte jedoch einer Dienerin die Dramatik der vergangenen Tage nicht anvertrauen. Eine andere Person musste mir dabei helfen, meine Verwirrung aufzulösen.
    Ohne recht zu wissen, wohin ich mich wenden sollte, ging ich auf den Mehlmarkt. Lenerl folgte mir durch die

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