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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Bruderschaft nicht wegen solcher Fetische angeschlossen, die Sie hier in der Schublade sehen.»
    «Warum ist Wolfgang beigetreten?»
    «Um unter Männern zu sein, die seinen wahren Adel erkannten. Um unter denen, die ihn für seine Musik entlohnten, ein Gleicher zu sein. Um seinen Frieden mit der Welt zu machen. Meine Berliner Jahre habe ich jedenfalls im Dienst unseres Kaisers absolviert. Pergen verschwendet nur seine Zeit, wenn er mich verdächtigt.»
    «Sie waren mit dem preußischen König persönlich befreundet.»
    Er schloss die Schublade und zog einen dicken Band oben aus dem Regal. «Im Auftrag der Kaiserin Maria Theresia hat mein Vater diese Studie über Vampire in Mähren verfasst.» Er schlug das Buch auf und zeigte mir die Titelseite. «Aber das macht ihn nicht zum Vampir.»
    «Aber hat es ihn dazu gebracht, an Vampire zu glauben?»
    «Mein Vater hat festgestellt, dass die ganze Geschichte bäurischer Aberglaube ist.» Swieten schloss das Buch und stellte es an seinen Platz im Regal zurück. «Wenn Wolfgang Ärger oder Sorgen hatte, empfand er Musik als beruhigend. Sie auch?»
    Ich dachte an meinen Ärger heute Morgen am Clavichord. «Normalerweise schon.»
    «Dann sollten wir uns vielleicht weiter unterhalten, nachdem Sie etwas für mich gespielt haben.»
    «Vielleicht hilft es mir, die Dinge klarer zu sehen», sagte ich.
    «Dessen bin ich mir sicher.» Er nahm meinen Arm und führte mich zurück unter die Kuppel.
    Ich setzte mich ans Klavier. Der Baron legte mir die Hand auf die Schulter. Die Berührung durchzuckte mich heiß wie eine offene Flamme. Für einen Moment verschlug es mir den Atem.
    «Würden Sie für mich singen?», sagte er.
    «Sehr gern.»
    «Eine Arie. ‹Ich möchte Dir erklären.› Wolfgang hat sie geschrieben, um an der Inszenierung einer Oper von Anfossi beteiligt zu werden.»
    «Ich kenne sie. Er hat mir eine Abschrift geschickt.»
    Ich entspannte meine Halsmuskulatur und spielte die Eingangspassage. Die Arie mit ihrem heimlichen Flehen an einen Geliebten, der einer anderen versprochen ist, hatte mich immer schon berührt. Was den akustischen Effekt der Kuppel anging, hatte der Baron recht. Mit all der Sehnsucht darin, die mein Bruder in das Lied gelegt hatte, ließ ich meinen Sopran erklingen.
    «Ich möchte Dir erklären, O Gott,
    welcher Kummer mich quält.
    Doch das Schicksal verdammt mich
    zu Tränen und Schweigen.»
    Swieten hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt und blickte nach oben. Ich ließ meine Stimme durch die Kuppel hallen, sodass wir von Wolfgangs Musik und meinem Atem eingehüllt wurden.
    Als ich das hohe D erreichte, das den nahenden Schluss des Stücks ankündigt, wandte sich der Baron mit zuckenden Schultern ab. Ich fragte mich, ob er an das Genie dachte, das eben erst von uns gegangen war.
    «Scheide von mir, lauf von mir fort.
    Von Liebe sprich kein einziges Wort.»
    Ich beendete die Arie. Das Glück des Musizierens war so stark, dass ich meinte, durch die Kuppel zu schweben.
    Die Augen des Barons glänzten. Er verneigte sich feierlich, streckte mir die Hand entgegen und führte mich zu einer Treppe in einer Nische der Kuppel.
    Ich ging auf der Wendeltreppe voran, bemerkte jedoch, dass er sich in der Bibliothek umschaute, bevor er mir folgte, als wollte er sich vergewissern, dass wir allein waren.
    Er atmete tief und schwer hinter mir. Ich raffte die Röcke, um auf den Stufen nicht zu stolpern. Wir stiegen einige Minuten aufwärts. Ich spürte Schweiß auf meiner Oberlippe.
    Ganz oben in der Kuppel erreichten wir eine schmale Galerie, von der aus man das Deckenfresko berühren konnte. Durch die Verkürzungen, die sie natürlich wirken ließen, wenn man sie von unten aus betrachtete, waren die Gemälde verzerrt. Berühmte Männer der Wissenschaft blickten auf Landkarten neuer Länder, richteten ihre Teleskope auf die fernsten Horizonte. Die Abschattierungen ihrer Gewänder bestanden aus goldenen Kreuzschraffierungen. Sie lehnten an gemalten Säulen, die wie seifiger Marmor aussahen.
    Ich blickte dreißig Meter in die Tiefe. Angst drehte mir den Magen um. Ich legte mir die Hand vor die Augen und wankte gegen die Balustrade.
    Der Baron ergriff mein Handgelenk. «Nein, Sie müssen hinsehen, sonst fallen Sie», sagte er.
    Ich stolperte und drückte mich an ihn.
    «Verzeihen Sie», flüsterte ich. «Ich empfinde so große Anspannung.»
    «Wegen der Höhe?»
    «Nicht nur deswegen. Diese Dinge, die ich über WolfgangsTod erfahren habe. Wenn er an einer Mission

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