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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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an einen armen, heiligen, jung verstorbenen Burschen besser befreundet ist als mit dem echten, lebendigen Komponisten, der eine Familie durchzufüttern hatte. Woran auch immer er geglaubt haben mag – Maestro Mozart war ein Pfand.»
    Pergen hielt im Hauptportal des Doms an. «Er ist geopfert worden», sagte er. «Sie wollen bestimmt wissen, von wem.»
    «Will ich das?»
    «Sie haben im tiefsten Winter nur deshalb eine lange Reiseauf sich genommen, weil sie zusehen wollten, wie Männer wie Gieseke sich prügeln?»
    Draußen auf dem Domplatz trieb ein Wachtmeister eine Gruppe Prostituierter dazu an, das Straßenpflaster zu fegen. Ein rauer Wind ließ ihre dünnen Röcke wehen. Zur Strafe für ihr unzüchtiges Gewerbe hatte man ihnen die Köpfe kahl geschoren. Zitternd vor Kälte fegten sie den auf dem Boden liegenden Pferdemist und die Gemüseblätter mit Besen fort, und ihre Kopfhaut war blutig von der brutalen Rasur in der Polizeikaserne.
    Die ersten Händler setzten ihre Körbe ab, wo die Dirnen gefegt hatten. Pergen schnippte mit den Fingern eine Frau heran, die kandierte Mandeln verkaufte. Mit einer demütigen Kniebeuge händigte sie ihm einen kleinen Beutel aus und hielt ohne Aufzublicken die Hand auf, um seine Münze entgegenzunehmen. Er schob sich ein Stück zwischen die Backenzähne und biss hinein. Ein weißer Streifen gepanschten Zuckers verschmierte seine Mundwinkel. Er leckte ihn mit blutleerer Zunge ab und schlenderte zu seiner Kutsche.
    Die Morgendämmerung ließ die niedrigen Wolken erröten, als hätten sie sich an den Hausdächern blutig gestoßen. Der Himmel verhieß heftigen Regen, der mich zerschneiden würde wie die Rasiermesser die blasse Haut der Hurenschädel.

21

    In meinem Gasthof fand ich Lenerl im Schankraum bei einer Partie Tarock mit drei anderen Mädchen. Ein verkaterter Frühstücksgast glotzte mit aschfarbenem Gesicht von seinem Tisch verächtlich herüber. Eine Frau mit aufgeschürfter Wange und dünnen, bitteren Lippen sah schweigend zu, wie ihr Mann sich dünnen Haferschleim in den Mund löffelte.
    Lenerl spielte eine Karte aus, lachte und trank einen Schluck Bier. Ihre Mitspielerinnen legten die Karten auf den Tisch. Als eins der Mädchen mich sah, nickte sie Lenerl zu.
    Das Mädchen stand auf und rückte seine Haube zurecht. «Guten Morgen, Madame.»
    Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich hatte mich gefragt, ob die Männer, die mich überfallen hatten, wie von Gieseke vermutet, zu meinem Gasthof weitergezogen waren, um mich aufzuspüren. Falls das der Fall war, ließ das muntere Gebaren meines Dienstmädchens darauf schließen, dass sie ihr gegenüber höflichere Manieren an den Tag gelegt hatten als mir gegenüber. Ich war auch nicht sonderlich erfreut, sie bereits kurz nach Sonnenaufgang beim Kartenspiel zu sehen.
    Der Wirt kam mit Rotweinflaschen unterm Arm aus dem Keller. Der verkaterte Gast begrüßte ihn mit einem halb verzweifelten, halb freudigen Gegurgel. Selbst in einer Stadt mit ungenießbarem Wasser war es noch zu früh am Tag, um Wein zu trinken. Doch wenn man in einem öffentlichen Gasthof logiert, wird man mit solchen niederen Existenzen konfrontiert.
    «Ich frühstücke bitte da drüben beim Clavichord», rief ich.
    Der Wirt verbeugte sich.
    Ich winkte Lenerl mit einem Fingerschnippen herbei und ging in die Ecke des Raums. Der Deckel des alten Clavichords stand offen. Die weißen und schwarzen Tasten waren mit Bier- und Fettflecken übersät. Ins Holz des Gehäuses hatten gelangweilte Trunkenbolde ihre Initialen gekratzt.
    «Wie hast du die Nacht verbracht, mein Mädchen?».
    Lenerls Gesichtsausdruck verriet, dass sie mir gern die gleiche Frage gestellt hätte. «Ich war hier im Restaurant. Mit den anderen Mädchen und einigen Herren.»
    Der Mann, der seine Weinflasche bekommen hatte, rülpste, hielt sich den Bauch, stöhnte.
    «Sicherlich höchst amüsant», sagte ich.
    Die Übelkeit des Mannes ließ Lenerl grinsen. «So früh am Morgen ist niemand so ganz bei sich selbst, Madame.»
    Ich dachte an Pergen im Dom. Die fahle Dämmerung, die sich vom Taufbecken reflektiert auf seinem hageren Gesicht spiegelte, während er von Gespenstern raunte. War das ein Augenblick frühmorgendlicher Schwäche gewesen wie die Übelkeit des Betrunkenen in diesem Schankraum?
    «Ganz recht», sagte ich.
    «Und Sie, Madame? War Ihr Auftritt in der kaiserlichen Bibliothek ein Erfolg?»
    «In der Tat, das war er.» Ich überlegte, ob ich Lenerl sagen sollte, was mir mit Gieseke zugestoßen

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