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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Salon in der kaiserlichen Bibliothek verlassen hatten.»
    Die Nachricht über den Überfall schien Pergen keineswegs zu verblüffen.
    Ich begriff, dass sein Schweigen Taktik war, mich dazu zu zwingen, die Lücken zu füllen. Nur Schuldige fürchten das Schweigen, aber ich war willens fortzufahren. «Ich war in Begleitung von Herrn Gieseke. Ich konnte entkommen, habe aber keine Ahnung, wie es dem armen Mann ergangen ist.»
    «Gieseke? Der Schauspieler? Das war bestimmt nicht seine erste Schlägerei an diesem Tag», sagte Pergen.
    Wir stimmten in den Chorrefrain des
Hallelujah
ein.
    «Wussten Sie eigentlich, dass Gieseke einen Teil des Librettos für
Die Zauberflöte
geschrieben hat?», fragte Pergen.
    «Aber Herr Schikaneder …»
    «Hat die erste Fassung geschrieben. Ihr Bruder hat sie überarbeitet. Und Gieseke hat dann noch ein paar Verse hinzugefügt.»
    Der Graf grinste zufrieden, weil er mich schockiert hatte. Ich dachte an Giesekes Angst, an Schikaneders Warnung an ihn, seine Zunge zu hüten, an das im Zwielicht herabstoßendeMesser. Ich hatte geglaubt, dass es auf mich zielte, aber vielleicht hatte Gieseke ein Schweigegelübde der Freimaurer gebrochen und war zum Tode verurteilt worden.
    So wie Wolfgang.
    Der Priester begann mit der Predigt. Pergen stand auf und bot mir seinen Arm. «Der Sermon des Monsignore ist alles andere als erhebend, Madame. Wollen Sie mich bitte begleiten?»
    «Ich bin zur Messe gekommen.»
    «Zur Eucharistie sind wir wieder da. Ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen etwas zu sagen habe, das mehr zu Ihrem Seelenheil beiträgt als die Predigt dieses Priesters.»
    Er führte mich durchs stille Querschiff in die Taufkapelle. Ich schirmte die Kerzenflamme mit der Hand ab. Die Dämmerung verströmte einen ersten matten Schimmer, der weiß auf dem Wasser des Taufbeckens lag.
    «Ihr Bruder, Madame, hat versucht, mit den Preußen zu fraternisieren», sagte Pergen. «Das verstieß gegen die Wünsche unseres Kaisers.»
    Ich verzog vor Erstaunen das Gesicht, aber nicht wegen Wolfgangs Verhalten. Kannte dieser Mann etwa jedermanns komplette Geheimnisse?
    Pergen beugte sich über das Taufbecken. Das vom Wasser reflektierte Licht verschattete sein Gesicht. «Wissen Sie, Ihre Neffen und Nichten sind alle hier getauft worden.» Seine eingefallene, graue Haut war weniger vom Alter zerfurcht als von fehlendem Fleisch, das sonst Wangen und Kinn glättet. Die Falten vertieften sich zu einem grimmigen Lächeln, das wirkte, als zerfalle es wie zerschlagenes Terrakotta. «Einschließlich derjenigen, die gestorben sind.»
    Ich bekreuzigte mich und flüsterte ein Gebet für Wolfgangs verlorene Kinder und meine kleine Babette, die mir genommen worden war. Ich zog den Mantel fester um mich.
    «Spüren Sie hier nicht ihre Geister?» Er blickte forschend in die Schatten und umklammerte mit der Hand den Rand des Taufbeckens. «Ich sehe, wie sie sich im Weihwasser reinigen. Aber nichts kann die Übel abwaschen, die sie von uns genommen haben.»
    Ich war ganz still. Anscheinend war ich für ihn weniger präsent als die Geister der Babys, die das Taufbecken füllten. Er redete mit sich selbst oder vielleicht mit den Seelen der verlorenen Kinder.
    «Man kann den Tod nicht abwaschen, nicht einmal durch den Segen des Papstes», flüsterte er. «Und ebenso wenig kann das Begräbnis eines gottlosen Menschen ihm seinen Platz im Himmel sichern. Sein Gespenst muss Rache suchend unter uns wandeln.»
    «Gottlos?» Die Kerze flackerte in meinen zitternden Händen.
    Er schaute mit plötzlicher Dringlichkeit umher. Spürte er jetzt die gleiche Berührung, die ich eisig und leicht auf meiner Hand und im Nacken empfunden hatte, als ich an Wolfgangs Klavier saß? Eine geisterhafte Präsenz.
    «Wollen Sie damit sagen, dass mein Bruder …»
    «Seine Beisetzung fand in der Kreuzkapelle statt, auf der anderen Seite der Kirche.» Sein dünnes Lächeln flackerte auf, und er schien in diese Welt zurückzukehren. Das Gespenst hatte ihn verlassen. «Ich bezweifle, dass es in unserem ehrwürdigen Dom jemals zuvor eine derartige Ansammlung von Atheisten gegeben hat.»
    Ich war schockiert. «Mein Herr, bitte!»
    «Massenweise Freimaurer. Männer, die unsere ganze Gesellschaft unterminieren wollen.»
    «Sie wollten sicherlich nur des Hinscheidens eines wunderbaren Musikers gedenken.»
    «Sie versammelten sich, um ihn auf dem Weg zu einem Ortzu verabschieden, den sie ‹Große jenseitige Loge› nennen. Anscheinend muss sich sogar der Himmel den

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