Mozarts letzte Arie
Regeln dieser Freimaurer beugen. Sie sind von dem Wahn besessen, unsere Regierung zu stürzen.» Er schlug auf den Sandsteinrand des Beckens. «Sie wollen die Macht an sich reißen, eine geheime Elite, die uns alle
ihren
Interessen unterwerfen will.»
«Wolfgang hat den Kaiser geliebt.» Erst als ich die Worte aussprach, merkte ich, wie stark ich sie inzwischen bezweifelte. «Dessen bin ich mir sicher.»
Pergen reckte das Kinn. Er schien meine Zweifel zu durchschauen. Er wartete wie ein Lehrer vor einem zögerlichen Schulkind.
In meinem eigenen, aber auch in Pergens Interesse versuchte ich zu rechtfertigen, was ich über Wolfgangs letzte Monate in Erfahrung gebracht hatte. «Wieso sollten die Freimaurer sich um den Sturz der Regierung bemühen? In ihren Reihen befinden sich doch auch bekannte Aristokraten.»
«Wer würde mehr von der Macht träumen als Männer, die ihr bereits nahestehen? Wissen Sie, wie sie das Geheimwissen nennen, das sie miteinander teilen? Die königliche Kunst. Wieso königlich? Ein paar irregeleitete Adlige, ja, aber ansonsten Handwerker, Kaufleute, Musiker und Schauspieler.» Pergen reichte mir wieder den Arm und führte mich aus der Kapelle. «Ihr Bruder war Mitglied einer Freimaurerloge der Rosenkreuzer.»
Ich hatte Mühe, mich an das zu erinnern, was Gieseke über die Rosenkreuzer erzählt hatte. Die Zahl Achtzehn mit ihren Beziehungen zu Wolfgangs Tod fiel mir wieder ein. Ich hatte keine Ahnung, wofür die Zahlen standen. «Ich bin mit derlei Dingen nicht vertraut.»
«Der preußische König ist Mitglied so einer Loge. Wussten Sie das?» Pergen schlang die Finger um mein Handgelenk, alskönnte er so an meinem Pulsschlag eine Lüge messen. «Haben Sie die Kompositionen Ihres Bruders für Freimaurerversammlungen gelesen?»
«Ich habe sie gar nicht gesehen.»
«Eine davon heißt
Ihr, Unsere Neuen Führer.
Als ob unser Kaiser uns nicht Führer genug sei.»
«Das ist sicherlich nur ein poetisches Bild. Über moralische oder spirituelle Führerschaft, nicht über politische Macht.» Trotzdem war ich schockiert. Alles, was ich über Wolfgangs Beziehungen in Wien erfahren hatte, zwang mich dazu, in Erwägung zu ziehen, dass er eine Gefahr für den Staat gewesen sein könnte.
Während die weiter vorn sitzenden Gemeindemitglieder die Kommunion empfingen, kehrten wir zu unserer Bank zurück.
«Ihr Freund Baron van Swieten war vor einigen Jahren unser Gesandter in Berlin», flüsterte Pergen.
Von der Kerze tropfte mir Wachs auf die Hand. Ich zuckte zusammen.
«Er hat sich einer Berliner Freimaurerloge angeschlossen. Er stand der Familie des preußischen Königs sehr nahe. Eine Prinzessin war sehr von ihm eingenommen.»
Meine Eifersucht war so stechend wie die heißen Wachstropfen. Ich hatte Mühe, sie zu unterdrücken. Was Pergen mir über Wolfgang erzählte, war verstörend genug. Ich durfte nicht zulassen, durch eine sündhafte Zuneigung zum Baron von meiner Aufgabe abgelenkt zu werden.
«Ihn werden Sie ja gewiss nicht verdächtigen. Der Baron ist, genau wie Sie, von unserem Kaiser berufen», sagte ich. «Seine Privatgemächer befinden sich in der Hofburg.»
«Was sagte ich doch noch gleich über Männer im Umkreis der Macht?» Pergen stand auf, um mich durchzulassen. «Swieten ist der Leiter der Zensurbehörde unseres Kaisers,und dennoch lässt er es zu, dass gefährliche Bücher veröffentlicht werden.»
Ich durchquerte den Gang. Als mir die Hostie auf die Zunge gelegt wurde, kniete Pergen sich neben mich. Der Priester reichte auch ihm eine Oblate. Der Graf zog sie sich in den Mund wie eine Eidechse, die eine Fliege fängt.
Der Dechant sagte, der Messwein sei das Blut des Herrn. Er war eiskalt. Pergen schloss die Augen, als er daran nippte. Der alte Priester schlug das Kreuzzeichen und entließ uns in Frieden.
«Dank sei dem Herrn», murmelte ich gemeinsam mit der Gemeinde.
Pergen folgte mir durch den Gang zum Portal.
«Lassen Sie sich nicht von Maestro Mozarts Freunden täuschen, Madame», sagte er. «In Wien ist es Brauch, einen Menschen zu kritisieren, solange er lebt, aber zu loben, sobald er tot ist.»
«Ich glaube, das ist ein allgemeiner Charakterzug.»
«Wie zynisch, liebe Dame.»
«Nicht zynisch. Nachsichtig.»
«Hier nennt man solche Kritik ‹Friedhofshöflichkeit›. Sie fragen sich vielleicht, warum Ihr Bruder zu Lebzeiten solche finanziellen Probleme hatte, wo doch all seine Freunde reiche Leute waren. Das liegt natürlich daran, dass man mit der Erinnerung
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