Mozarts letzte Arie
dass ich gebückt dasaß, als ob meine Unsicherheit wie ein Gewicht auf mir lastete.
Ich nippte am Rumpunsch und überdachte, was ich über den Tod meines Bruders in Erfahrung gebracht hatte. An einem Ergebnis bestand kein Zweifel – wegen einer Affäre mit Magdalena Hofdemel war Wolfgang nicht gestorben. Das Gerücht, das Constanze in ihrem Brief an mich so sorgfältig zu dementieren versucht hatte, war eine Verleumdung. Es passte nicht zu den Fakten, die ich inzwischen aufgedeckt hatte, weder zu den Beziehungen zu den Freimaurern noch zu den Preußen.
Ich dachte an Hofdemels arme Witwe, die jetzt mit den Wunden, die ihr ihr nun toter Gatte zugefügt hatte, allein in ihrem Haus saß. Ich beschloss, Magdalena mitzuteilen, dass ich wusste, dass sie keine Sünde begangen hatte.
Constanze überließ ihr Baby dem Mädchen und setzte sich neben mich ans Klavier. Sie blätterte durch einen Manuskriptstapel auf dem Klavier.
«Das sind Stücke, die der preußische Gesandte für den König kaufen will», sagte sie. «Willst du mir nicht eins vorspielen?»
Ihr Lächeln war so arglos, dass ich mich darüber wunderte, dass die Leute
mich
für Wolfgangs Doppelgänger hielten. In ihrer Schlichtheit war die Ähnlichkeit zwischen Ehemann und Frau viel stärker.
«Natürlich, meine Liebe», sagte ich. «Welches denn?»
Sie nahm ein paar Blätter vom Stapel. «Dieses natürlich.»
Ich blickte auf die Noten, als sie die Blätter auf dem Notenständer ausbreitete. «Wieso natürlich?»
«Siehst du nicht die Widmung?»
Mit dem Finger, der vom Kopieren der Manuskripte mit schwarzer Tinte befleckt war, fuhr sie unter einer Bemerkung oben auf der ersten Seite entlang. Sie war in der Handschrift meines Bruders gekritzelt.
Für meine innig geliebte Schwester Maria Anna, meine Nannerl.
Dann die verschnörkelten Parallellinien unter unserem Familiennamen, mit dem er seine Manuskripte signierte.
Ich berührte die Unterschrift und flüsterte seinen Namen. Ich sah mir die ersten Takte an. Das Stück war eine Klaviersonate. «Er hat mir immer seine Kompositionen geschickt. Aber diese habe ich noch nie gesehen.»
«Sie ist neu, nicht wahr?» Constanzes schwarze Augen schimmerten in ihren müden, grauen Höhlen. «Spiel es. Ich habe das Stück sicherlich noch nie gehört.»
Als ich mich zum Spielen bereit machte, fragte ich mich, warum sich der preußische Gesandte zum Kauf dieser Sonate statt für eine von Wolfgangs bekannteren Kompositionen entschieden hatte.
Ich war im ersten Satz noch nicht weit gekommen, als ich merkte, dass es eine der schwierigsten Sonaten meines Bruders war. Die gebrochenen Arpeggios der linken Hand bewegten sich schnell unterhalb einer tastenden, synkopierten Melodie.
Constanze blätterte mir die Seiten voller Begeisterung um. Ich beendete das abschließende Rondo mit einer ausgelassenen Kadenz und ergriff die Hand meiner Schwägerin.
Wir sprachen gleichzeitig. «Es ist wunderbar.» Wir lachten und umarmten uns. Zu meinen Füßen umarmte Karlchen meine Beine. Constanzes Spaniel kam ins Zimmer gelaufen und sprang ihr auf den Schoß. Ich bedauerte, dass wir nie so einen glücklichen Moment geteilt hatten, als mein Bruder noch dabei gewesen war, um ihn zu genießen.
Constanze schlug auf der Tastatur ein paar Töne der Melodie der Sonate an und sagte: «Es ist, als hätte Wolfgang dies Stück hinterlassen, um dich hier willkommen zu heißen. Seine Art, dich zu begrüßen.»
«Aber ich hätte es vielleicht nie zu Gesicht bekommen.»
«Ach, ich glaube, er wusste, dass du kommen würdest.»
Ich fasste den Hund an den Ohren und kraulte sie. Er leckte mein Handgelenk. Ich überflog noch einmal die letzten Takte der Sonate.
Am Ende angekommen, bemerkte ich etwas, das mir in der Erregung, das Stück zu spielen, entgangen war. Ein paar an den Rand gekritzelte Zeilen. In Wolfgangs Handschrift.
Ich beugte mich darüber und las laut vor.
Sie bereut ihre Blindheit, wie sie stets reumütig ist. Auf der Tastatur laufen ihre Töne Amok wie ausgetriebene Dämonen. Ich werde mit ihr wie ein Bruder inden Hallen des Paradieses sein, an ihrer Seite, wie ich es stets war, doch nicht so, wie mein Vater es wünschte.
«Das ist eins von Wolfgangs kleinen Rätseln. Was bedeutet es?» Constanze kratzte den Hund am Hals. «Erinnerst du dich noch an die Rätsel, die er zum Karneval schrieb?»
«Ganz lebhaft.» Jene Rätsel waren schlüpfrig gewesen, wie es sich für das Fest des Trinkens, Tanzens und der Lust gehörte. Aber dieses
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