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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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einer Sanftheit, die ich zuvor nicht von ihr gehört hatte. Dann wurde ihre Stimme wieder hart. «Der Mann könnte sogar die Toten erfreuen.»
    Magdalena bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie wollte sich den Schleier herabziehen, doch ich hielt sie am Handgelenk fest und kam ganz dicht an sie heran.
    «Hören Sie», flüsterte ich. «Seit meinem Besuch in Ihrem Haus habe ich einiges über die Umstände von Wolfgangs Tod erfahren.»
    Tränen rannen zwischen ihren Fingern hindurch. Sie weigerte sich, mich anzusehen.
    Meine Hände waren nass von ihren Tränen. «Wolfgangs Tod hatte etwas zu tun mit – mit Dingen, von denen ich nicht reden kann», sagte ich. «Geheime, gefährliche Dinge. Aber Ihr Mann hat ihn nicht umgebracht.»
    Sie schüttelte den Kopf. Kleine, verständnislose Bewegungen. Ihre Augen waren gerötet, braun und angstvoll.
    «Er starb im Gefolge einer größeren Verschwörung», sagte ich. «Ihr Mann war es nicht.»
    «Mein Franz», murmelte sie.
    «Sie sind zu meinem Gasthof gekommen. Sie haben meinem Dienstmädchen gesagt, dass Sie bereuen. Sie haben nichts zu bereuen, verstehen Sie?» Ich küsste ihre kalten Hände und schmeckte ihre Tränen auf meinen Lippen. Das Wort «danke» las ich von ihren Lippen ab, war es doch so leise gesprochen, dass ich es nicht hören konnte.
    Ich verließ Magdalena in der Bank neben Paradis und ging zur Vorderseite der Kirche. Im Gang trat ich auf eine fleckige Steinplatte. Ein Wappen aus Bronze markierte sie als den Eingang zur Krypta der Familie Pergen unterhalb des Kirchenbodens. Bestimmt hat der Polizeiminister seine Spione sogar noch in den Gräbern der Wiener, dachte ich.
    Ich schlüpfte in die erste Reihe und sah mich nach Baron van Swieten um, konnte ihn aber nicht entdecken. Ich setzte mich neben Constanze.
    Ihre Schwester Josefa kam eilig den Gang entlang. Sie küsste Constanze, verbeugte sich vor mir und schloss sich dem Chor an, in dem sie den Sopranpart des Requiems singen sollte. Schikaneders Opernchor nahm vor dem Altar Aufstellung und stieß dabei gegen den groben Holzsarg, in dem Giesekes Leichnam lag. Die Solisten stellten sich neben Josefa auf.
    Als die Holzbläser den Introitus anstimmten, nahm Baron van Swieten neben mir Platz. Sein Gesicht war gerötet undsein Mund verkniffen. «Verzeihen Sie mein spätes Erscheinen», sagte er.
    Ich neigte den Kopf.
    «Es gibt gewisse Entwicklungen in der Hofburg. Ich hatte bis zum letzten Moment zu tun.»
    «Ich hätte es auch für ausgeschlossen gehalten, dass Sie der Totenmesse für einen Schauspieler fernbleiben, dem sie so begeistert applaudiert haben. So ein Mann sind Sie nicht.» Ich legte ihm meine Finger auf den Handrücken, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Er blinzelte überrascht. Die Stimmung der Beisetzung gebot ihm Zurückhaltung, doch seine Freude war so intensiv, dass ich sie durch meine Handschuhe an der Stelle, an der ich ihn berührt hatte, glühen spürte.
    Der Blick, den wir miteinander tauschten, konnte nur durch eine einzige Sache unterbrochen werden. Wir wandten uns dem Chor und Wolfgangs Musik zu.
    Im Requiem meines Bruders war Gott in jedem Ton anwesend. Er zerschnitt die Scheinheiligkeit, mit der wir unsere Seelen schützen. Er zeigte uns in all unserer Sündhaftigkeit. Ich stellte mir vor, wie Wolfgang sich mit diesem letzten großen Auftrag abgemüht hatte, eine Messe für die Verstorbenen, während er selbst bereits spürte, dass er ins Reich der Toten überging.
    Ich zitterte während des unheilvollen
Confutatis Maledictis,
als der Chor von den Seelen der Sünder sang, die ins Höllenfeuer geworfen werden, und darum flehte, zu den Geretteten zu gehören. Ich schloss die Augen und betete – für Wolfgangs Seele, für meine kleine verlorene Tochter, für meine Mutter und meinen Vater und für mich selbst. Doch in der Musik war mehr Pein als Erlösung. Die Sänger klangen eher wie die verzweifelten Verdammten als die Geretteten. Meine Gebete wurden übertönt.
    Ich schaute zu Magdalena hinüber. Sie saß mit vor dem Schleier gefalteten Händen vornübergebeugt. Ich hoffte sie überzeugt zu haben, dass ihr Mann trotz allem nicht verdammt werden würde. An Wolfgangs Ermordung war er unschuldig. Dann verstand ich, warum sie unter dem Fresko des Jüngsten Gerichts um ihn geweint hatte. Selbst wenn er kein Mörder war, war er doch ein Selbstmörder, ein Todsünder. Ich bekreuzigte mich.
    Neben Magdalena bewegte Paradis ihre Lippen zum Latein des Chors. Ihre Hand bewegte sich

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