Mozarts letzte Arie
den Rauch ausstieß. «Wolfgang hat hier viele öffentliche Konzerte gegeben», sagte er. «Finanziell hat es Ihr Bruder in diesem Lokal immer gut getroffen.»
Ich warf einen Blick auf das Klavier neben dem Tresen. Verglichen mit den Palästen, in denen er aufgetreten war, schien ein Kaffeehaus ein armseliger Ort für Wolfgangs herrliche Musik zu sein. Doch vielleicht entsprang es meiner eigenen Erfahrung, für Bezahlung zu musizieren, dass mir das
Jahn
dürftig vorkam. Einmal hatte sich unsere Familie zu lange in London aufgehalten, und das Geld wurde knapp. Wir Kinder mussten in Nachmittagsvorstellungen in Bierkneipen auftreten, wo der Eintritt einen Penny betrug.
Der Bursche mit der Schürze brachte ein Tablett mit einer Porzellankanne, Tassen und zwei Stück Kuchen. Er schenkte uns beiden je eine Tasse Kaffee ein und stellte den Kuchen mit einer Verbeugung auf den Tisch.
«Das ist Herrn Jahns Erfindung.» Lichnowsky reichte mir eine Gabel und schob mir einen Kuchenteller hin.
Jahn verbeugte sich voller Stolz und kehrte hinter den Tresen zurück.
«Probieren Sie», sagte Lichnowsky, wobei er einen blauen Schwall Zigarrenrauch ausstieß. «Er schmeckt wunderbar.»
Obwohl ich nach der Frühmesse in meinem Gasthof gefrühstückt hatte, hatte ich nur wenig gegessen. Der Schock über Giesekes Tod in der vergangenen Nacht im Theater steckte mir noch in den Knochen. Ich aß ein Stück von dem Kuchen. Es war eine Apfeltasche, braun und knusprig gebacken,innen mit weichen Apfelscheiben. Bitter wie Kaffeesatz legten sich Mohnsamen auf meine Zunge.
«An dem Abend», sagte ich, «an dem Sie mich nach dem Überfall so derangiert antrafen …»
«Es war mir eine Ehre, Ihnen beistehen zu können.»
«Sie sagten mir, über Wolfgangs Tod gebe es keinen Zweifel. Sie haben sich geirrt. Er wurde vergiftet.»
«Also bitte, Madame …»
«Aber in einer Hinsicht hatten Sie recht.»
«Nämlich?»
«Sie sagten, seine Feinde könnten zu einem Schlag gegen seine überlebenden Freunde ausholen. Das ist geschehen. Armer Herr Gieseke.»
Lichnowsky tippte mit der Gabel gegen die Kuchenkruste. Sein Gesicht zeigte die Ungeduld eines unbesonnenen Jugendlichen, der schweigend elterliche Ermahnungen über sich ergehen lassen muss, obwohl er weiß, dass seine eigene Bekanntschaft mit Risiken größer ist als die der Person, die ihn darüber belehrt.
«Es gibt noch mehr, was Sie mir nicht erzählt haben, da bin ich mir sicher», sagte ich. «Sie können nicht so tun, als seien Sie nicht tief in diese Intrige verstrickt, mein Prinz.»
Er schnitt mit der Gabel ein Stück vom Kuchen ab und zerteilte es noch einmal.
«Die Grotte.
Auch Sie wollten dieser neuen Loge beitreten», sagte ich.
Lichnowsky zerdrückte mit der flachen Gabelseite die Apfelstücke auf seinem Teller. «Ich sagte Ihnen doch bereits, dass Sie diese Sache besser auf sich beruhen lassen sollten.»
«Es ist wie eine Melodie, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Ich kann es nicht ignorieren.»
Mit einem forschenden, scharfen, übellaunigen Blick sah er mich von der Seite an.
«Sagen Sie mir die Wahrheit über Wolfgangs geheime Mission in Berlin», sagte ich. «Warum fürchtet sich jeder davor? Seine Freunde sind entsetzt. Einer von ihnen ist tot.»
«Bislang.»
Ich hatte damit gerechnet, in Lichnowskys Augen Furcht zu erblicken. Doch sein Gesicht wirkte so pikiert wie das eines Kindes, das man beim Spielen stört. Als sein Ärger verflog, dämmerte mir, was für ein Spiel das gewesen sein musste. «Als Sie Berlin besuchten, waren Sie derjenige mit einer geheimen Mission», sagte ich. «Sie sind der Spion, nicht Wolfgang.»
Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Ich hatte geahnt, dass Wolfgang die Arglist eines Agenten abging. Jetzt sah ich, dass ich recht hatte.
«Wolfgangs Anwesenheit war eine Tarnung für meine Berlinreise, aber ich bin kein Spion», flüsterte Lichnowsky.
Stadler schüttelte seinen Zeitungshalter, um die Seite zu glätten. Hoffmann schnarchte auf dem Sofa.
«Im Berliner Palast hat es nie eine Stellung für Wolfgang gegeben?», sagte ich.
«Wir haben jedem erzählt, dass Wolfgang sich dort eine Position erhoffte, damit niemand hinter meine Gründe kam, eine feindliche Hauptstadt zu besuchen.»
«Sie gaben sich lediglich als Reisebegleiter des Maestros aus.»
«Das war die Idee.»
«Was waren denn Ihre wahren Absichten?»
Lichnowskys Blick kam wie aus weiter Ferne. Seine Augen blinzelten voller Zweifel. Ich fragte mich, ob
Weitere Kostenlose Bücher