Mozarts letzte Arie
können. So oder so – der König nutzte Wolfgang nur aus.»
«Wolfgang ist es gelungen,
Die Zauberflöte
auf die Bühne zu bringen. Woher wollen Sie wissen, ob nicht
er
den König ausgenutzt hat?»
Lichnowsky spuckte Kaffeesatz in seine Tasse und tupfte sich mit dem Spitzenbesatz seiner Manschette die Lippen ab. «Weil Wolfgang tot ist.»
28
Ein Heuwagen passierte den Eingang des Kaffeehauses, bog in die Rauhensteingasse ein und schwankte Wolfgangs Wohnung entgegen. Ich dachte an den Zuspruch, den ich dort finden würde. Er wäre ein willkommener Kontrast zu dem derben Wortgeplänkel der Männer am Billardtisch. Ich verstand, warum sich Wolfgang nach seiner Ankunft in Wien entschlossen hatte, zu heiraten. Mit Männern musizierte er, aber er schuf seine Musik unter dem rosa Marmorstuck und dem gemalten Relief der Blumengöttin. Mit Frauen.
Hinter mir auf der Treppe hörte ich Schritte abwärts gehen. Dann Stille. Eine ungeheure Hitze fuhr mir wie die Berührung einer fiebernden Hand über den Nacken.
Als ich mich umdrehte, winkte mir Stadler aus dem Flur zu. Ich ging auf ihn zu. Er beobachtete die Straße.
«Ich muss Sie noch einmal bitten, Madame», sagte er, «diese Angelegenheit auf sich beruhen …»
«Die Frauen in Wolfgangs Loge?»
«Mir schlotterten vor Angst die Knie, als mir das in der Oper Ihnen gegenüber herausgerutscht ist. Lichnowsky wird erfahren, dass Sie es von mir wissen.»
«Sie haben mein Gespräch mit dem Prinzen belauscht?»
«Erwähnen Sie das niemandem gegenüber – ich flehe Sie an.»
«Warum haben Sie Angst vor Lichnowsky?»
«Ich habe jetzt vor jedem Freimaurer Angst.»
«Vor Ihren Brüdern?»
«Meinen Brüdern. Aber vor allem vor
Ihrem
Bruder.» Er starrte auf die Straße, als rechnete er damit, Wolfgangs Geist durch den vorüberziehenden Verkehr schweben zu sehen und all seine Geheimnisse auszuposaunen, da er nun keine Strafe mehr zu befürchten hatte, wenn er sie verriet. Eine solche Immunität genoss Stadler nicht.
«Wolfgang wollte Frauen in seiner Loge», sagte ich. «Das ist ein Verstoß gegen das Freimaurerreglement. Aber ich verstehe nicht, warum das so gefährlich –»
«Das sind die Regeln der Freimaurer in Österreich. Aber nicht in Frankreich.»
«In Frankreich gibt es weibliche Freimaurer?»
«Die Revolution hat auch den Frauen Gleichheit beschert. Verstehen Sie? Um Himmels willen, Frau, ob er das nun beabsichtigt hat oder nicht, Wolfgang verbreitete eine revolutionäre französische Idee in einem Augenblick, als diese Franzosen eben die Aristokratie gestürzt haben und offenbar willens sind, ihre Königin zu ermorden.» Stadler hob die Arme und ließ sie dann wieder zur Seite fallen. «Begreifen Sie jetzt?»
Die Straße war voller Droschken, die Spieler zu den
jeu de paume
-Salons in der Ballgasse brachten. Die Räder einer gelben, zweirädrigen Kutsche, die dicht an der Tür des Kaffeehauses vorbeifuhr, rasselten über die Pflastersteine.
Stadler duckte sich wieder in die Schatten des Eingangs. Als die Kutsche vorbei war, war der Klarinettist verschwunden.
Ich ging am Straßenrand entlang.
Die Revolution in Frankreich. Die Intrigen des Königs von Preußen. Sogar ich mit meiner politischen Naivität begriff, dass Wolfgang schreckliche Risiken eingegangen war. Überrascht war ich dennoch nicht. Er hatte die Chance gesehen, eine wunderbare Oper, die auf seinen geliebten Prinzipien beruhte,auf die Bühne zu bringen. Es war nur natürlich, dass er die Gefahren in den Wind schlug.
Ich ging durch das Hoftor zu Wolfgangs Wohnung und erstieg die Wendeltreppe zu Constanzes Tür.
Mein Neffe saß wieder am Klavier. Diesmal fielen mir seine falschen Töne fast gar nicht auf. Ich nahm Karls Wangen zwischen meine Hände und küsste ihm die Stirn. Er rieb sich über die Stelle und verkroch sich unter dem Klavier. Hinter seinem Stirnrunzeln verbarg sich ein Lächeln.
Constanze lachte über ihren Sohn. «Willkommen, Schwester.» Sie nahm mich bei den Händen und rief dem Dienstmädchen zu: «Sabine, einen heißen Punsch. Wir müssen dich aufwärmen.»
«Kaum. Ich habe eben Kaffee getrunken. Mein Herz flattert wie Spatzenflügel.»
«Dann trink etwas Punsch, um deine Nerven zu beruhigen.»
Der kleine Wolfgang erwachte und schrie in seiner Wiege. Constanze ging nach nebenan, um ihn mit Küssen zu beruhigen.
Ich saß auf der Bank vor dem Klavier. Das Mädchen stellte ein kleines Kohlenbecken hinter mich. Die Hitze der Kohlen zog mir ins Kreuz, und ich merkte,
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